1. Die vorstehende Entscheidung ist bemerkenswert, weil sie die erste Entscheidung des BGH zum Umgangsrecht der Großeltern nach § 1685 Abs. 1 BGB seit Einführung der Norm durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997[1], in Kraft seit dem 1.7.1998, darstellt. Es hat also gut 19 Jahre gedauert, bis der BGH eine Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit § 1685 Abs. 1 BGB erhalten hat. Diese Gelegenheit ergab sich wiederum bloß indirekt, da der die Rechtsbeschwerde zulassende 16. Familiensenat des OLG München den BGH wegen einer rein verfahrensrechtlichen Frage angerufen hatte.

2. Der BGH erklärte zunächst seine bisherige Rechtsprechung zu § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ausdrücklich auch auf Kindschaftssachen anwendbar. Bisher hatte der BGH diese Rechtsprechung anhand von Betreuungs- und Unterbringungssachen entwickelt. Danach kann in der Beschwerdeinstanz von einem erneuten mündlichen Termin sowie von wesentlichen Verfahrenshandlungen (wie z.B. die erneute Anhörung der Beteiligten) abgesehen werden, wenn diese ohne Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften in der ersten Instanz durchgeführt worden und von einer Wiederholung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen für das Absehen von wesentlichen Verfahrenshandlungen kommt dem Beschwerdegericht stets ein Ermessensspielraum zu. Dieser endet allerdings dort, wo das Beschwerdegericht seiner Entscheidung neue bzw. andere Tatsachen als in der ersten Instanz zugrunde legen will. In einem solchen Fall muss etwa eine erneute Anhörung stattfinden.

Dies war die eigentliche Rechtsfrage, weshalb die Rechtsbeschwerde zugelassen worden war.

3. Materiell-rechtlich prägt der BGH vier Rechtssätze für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Kindeswohldienlichkeit" des Großelternumgangs in § 1685 Abs. 1 BGB.

a) Zum Ersten bringt der BGH im Einklang mit den Vorstellungen des Gesetzgebers die Norm des § 1626 Abs. 3 S. 2 BGB im Rahmen der Prüfung des Großelternumgangs zur Anwendung.[2] Nach § 1626 Abs. 3 S. 2 BGB gehört zum Wohl des Kindes der Umgang mit Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurden dieser Norm bisher unterschiedliche Aussagen entnommen. Teilweise wurde aus ihr eine Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit des Großelternumgangs abgeleitet, wenn deren Voraussetzungen erfüllt seien. Teilweise wurde die Vorschrift etwas untechnisch lediglich als Auslegungshilfe bezeichnet.[3] Der BGH bezeichnet die Vorschrift zwar zunächst ebenfalls lediglich als "Auslegungshilfe", spricht aber später selbst von einer echten Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs, wenn sowohl bestehende Bindungen als auch die positive Auswirkung für die kindliche Entwicklung durch deren Aufrechterhaltung festgestellt werden können. Der BGH knüpft die Vermutung damit in Einklang mit der diesbezüglich bestehenden obergerichtlichen Rechtsprechung gleich an zwei positive Feststellungen durch das Familiengericht. Aufgrund der positiven Kindeswohlschwelle in § 1685 Abs. 1 BGB liegt die Feststellungslast für die Kindeswohldienlichkeit damit vollständig bei den Großeltern.[4]

Es ist jedoch fraglich, ob es überzeugend ist, eine Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit erst bei Vorliegen beider Tatbestandsmerkmale eingreifen zu lassen. Es sprechen Gründe dafür, die Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit bereits an die positive Feststellung anzuknüpfen, dass tragfähige Bindungen zwischen Großeltern und Kind bestehen.[5]

Das Eingreifen der Vermutung hätte dann zur Folge, dass die Aufrechterhaltung der Kontakte für das Kindeswohl in der Regel förderlich ist, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände entgegenstehen (wie z.B. ein tiefgreifendes Zerwürfnis oder auch andere Einwendungen der Eltern).[6] Dann würde die Feststellungslast für Umstände, welche bei bestehenden tragfähigen Bindungen der weiteren Entwicklung des Kindes abträglich wären, bei den Eltern liegen und nicht bei den Großeltern.

Zunächst stehen gewachsene familiäre Bindungen zwischen Enkeln und Großeltern nach Art. 6 Abs. 1 GG unter besonderem staatlichen Schutz.[7] Dies muss sich in der Prüfung der Kindeswohldienlichkeit wiederfinden, denn die Gerichte sind an die Grundrechte der Beteiligten bei der Auslegung des Gesetzes gebunden, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG. Sodann spricht auch die Gesetzesbegründung durchaus dafür, dass der Gesetzgeber einen Umgang zu den Großeltern schon bei bestehenden Bindungen grundsätzlich für das Kindeswohl dienlich ansah.[8] Ein weiteres Argument ergibt sich aus der Prüfungslogik. Es ist nämlich fraglich, ob nach positiver Feststellung tragfähiger Bindungen sowie der positiven Feststellung der Förderlichkeit weiterer Umgangskontakte für die Entwicklung des Kindes noch davon sinnvoll zu trennende Umstände in eine zusätzliche, weitere Kindeswohlprüfung einbezogen werden können, die nicht ohnehin schon Einfluss auf die Prüfung haben, ob die Aufrechterha...

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