BGB § 675 Abs. 1; BRAO § 43a Abs. 4

Leitsatz

Suchen Eheleute gemeinsam einen Rechtsanwalt auf, um sich in ihrer Scheidungsangelegenheit beraten zu lassen, hat der Anwalt vor Beginn der Beratung auf die gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer solchen Beratung hinzuweisen.

BGH, Urt. v. 19.9.2013 – IX ZR 322/12 (LG Köln, AG Gummersbach)

1 Tatbestand:

[1] Der Beklagte suchte die klagende Rechtsanwältin zu einer anwaltlichen Beratung in einer Scheidungsangelegenheit am 10.3.2011 gemeinsam mit seiner Ehefrau auf. Zu Beginn des Gesprächs ergab sich, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen über die Modalitäten der Trennung und der Scheidung hatten. Wunschgemäß versandte die Klägerin das Protokoll über das Beratungsgespräch an sie beide. Die Ehefrau mandatierte daraufhin andere Anwälte. Nachdem die Klägerin weiterhin für den Beklagten tätig geworden war, kündigte dieser am 26.4.2011 das Mandat. Die Klägerin rechnete ihre Leistungen in Höhe von 1.811,36 EUR gegenüber dem Beklagten ab. Dieser beglich die Rechnung nicht und beauftragte ebenfalls andere Anwälte mit der Vertretung seiner familienrechtlichen Interessen.

[2] Die Klägerin verlangt von dem Beklagten den berechneten Betrag. Das Amtsgericht hat die Klage ab-, das Landgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das geltend gemachte Anwaltshonorar weiter.

2 Gründe:

[3] Die Revision hat keinen Erfolg.

I. [4] Das Landgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe ein vertraglicher Vergütungsanspruch nicht zu, weil sie entgegen § 43a Abs. 4 BRAO beide Eheleute beraten habe, was nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags geführt habe. Denn schon zu Beginn des Beratungsgesprächs habe sich herausgestellt, dass sich die Vorstellungen der Eheleute zu mehreren Fragen als Folge ihrer Trennung und der beabsichtigten Scheidung widersprächen. Auch eine Teilvergütung komme nicht in Betracht, weil die Klägerin den Beklagten bereits in den Jahren 2008/2009 familienrechtlich beraten habe und sie deswegen nicht mehr für beide Eheleute hätte tätig werden dürfen. Gesetzliche Vergütungsansprüche bestünden ebenso wenig. Ansprüche aus §§ 670, 677, 683 BGB stünden der Klägerin nicht zu, weil sie ihre Aufwendungen im Zusammenhang mit einer gesetzeswidrigen Tätigkeit nicht für erforderlich habe ansehen dürfen. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien auch nicht begründet, weil der Beklagte jedenfalls entreichert sei. Nach Aufdeckung der Interessenkollision habe er berechtigt einen anderen Anwalt mit seiner umfassenden familienrechtlichen Vertretung beauftragt.

II. [5] Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

[6] 1. Beide Vorinstanzen haben, was die Revision nicht in Zweifel zieht, festgestellt, dass die Klägerin in dem die streitgegenständlichen Gebühren auslösenden Beratungsgespräch am 10.3.2011 den Beklagten und seine Ehefrau gemeinsam beraten hat. Hiervon ist deshalb für das Revisionsverfahren auszugehen.

[7] 2. Auf die vom Berufungsgericht und der Revisionsbegründung aufgeworfene Frage, ob der anlässlich des Beratungsgesprächs am 10.3.2011 zustande gekommene Anwaltsvertrag wegen eines Verstoßes gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA), nach § 134 BGB unwirksam ist, kommt es nicht an. Denn auch bei Wirksamkeit des Anwaltsvertrags steht der Klägerin ein Zahlungsanspruch gegenüber dem Beklagten nicht zu.

[8] a) In Scheidungsverfahren soll es häufig vorkommen, dass sich die scheidungswilligen Eheleute in der Annahme völligen Interessengleichklangs und der Absicht, die Kosten für einen zweiten Anwalt zu sparen, gemeinsam durch einen Anwalt beraten lassen wollen (vgl. § 1566 Abs. 1 BGB, §§ 114 Abs. 1 und 4 Nr. 3, 128 Abs. 1, 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG; Göppinger/Börger, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung, 10. Aufl., 1. Teil Rn 143; Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 3 BORA Rn 57; Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43a Rn 178). Auch wenn das durch die Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis eine identische Rechtssache darstellt (Böhnlein, in: Feuerich/Weyland/Vossebürger/Böhnlein/Brüggemann, BRAO, 8. Aufl., § 43a Rn 63; Hartung, a.a.O. Rn 56; Henssler, a.a.O. Rn 177, 200; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 43a Rn 93) und die Eheleute im Falle der Trennung und Scheidung über das möglicherweise gleichlaufende Interesse hinaus, möglichst schnell und kostengünstig geschieden zu werden, typischerweise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen haben, wird in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, dass eine gemeinsame Beratung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Scheidung im Grundsatz möglich ist, wobei Voraussetzungen und Folgen einer solchen gemeinsamen Beratung unterschiedlich gesehen werden (zu den Voraussetzungen einerseits BayObLG NJW 1981, 832, 833; KG, NJW 2008, 1458 f., andererseits AG Gifhorn FPR 2004, 161 f; Göppinger/Börger, a.a.O. Rn 146; Henssler a.a.O. Rn 178; Groß, FPR 2000, ...

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