Seit dem 3.12.2011 gilt das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, abgekürzt ÜGRG. In der Entscheidung des OLG Braunschweig wird, soweit ich sehe, in einem veröffentlichten Berufungsurteil – wenn auch nur zu einem geringen Teil und Klageabweisung im Übrigen – erstmals nach diesem neuen Gesetz eine Entschädigung zugesprochen und zugleich die Revision gegen dieses Urteil zugelassen. Zuvor sind zwar mehrere höchstrichterliche Entscheidungen zu diesem Gesetz veröffentlicht worden – s. OLG Thüringen FamRZ 2012, 728; OLGE Düsseldorf FamRZ 2012, 1161; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1077; OLG Bremen FamRZ 2013, 571.[1] In diesen Entscheidungen ist jedoch keine Entschädigung zugesprochen worden; dabei ging es stets darum, ob eine Untätigkeitsklage trotz ÜGRG noch zulässig war.[2] Das jetzt veröffentlichte zusprechende Urteil des OLG erörtert das ÜGRG hingegen breit und ausführlich. Daher ist diese Entscheidung tauglich, zu früher Stunde zu einer möglichst einheitlichen Rechtsprechung beizutragen, hierfür jedenfalls die Weichen zu stellen.[3] Daher hat das Gericht erfreulicherweise auch die Revision zugelassen.

Das Braunschweiger Urteil ist weiterhin geeignet, Aufbau und Begründung eines solchen Entschädigungsurteils zu zeichnen.[4] Zugleich zeigt es mittelbar auch auf, wie die Klageschrift aufzubauen und zu begründen ist. Zwar ist das ÜGRG schon mehrfach erläutert und kommentiert worden,[5] aber nicht mit der Gründlichkeit und Ausführlichkeit wie in der hier jetzt veröffentlichten Entscheidung. Auch die eingehende und sorgfältige Begründung des Regierungsentwurfs[6] kann als Grundlage für Klage und Urteil dienlich sein.

In den Gründen wird zunächst unter I. der Verfahrensablauf in 1. und 2. Instanz genau und ausführlich dargestellt. Dies ist in der Tat erforderlich, um sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung herausarbeiten zu können. Sie sind später zu subsumieren (Rn 138), um dann feststellen zu können, "ob ausnahmsweise einzelne Verzögerungen geheilt worden sind oder eine Unangemessenheit der Verfahrensdauer trotz fehlender eindeutiger Verzögerungen entstanden ist" (Rn 136).

Unter II. 1. der Gründe wird sodann ausgeführt: Nach Art. 23 S. 1 Hs. 2 ÜGRG werde das anliegende Verfahren als Altfall erfasst; es sei bei Inkrafttreten des ÜGRG zwar schon abgeschlossen gewesen, es habe aber nach innerstaatlichem Abschluss des Verfahrens zu einer Beschwerde vor dem EGMR geführt oder noch führen können. Darauf wird, ebenfalls unter II. 1., ausgeführt: Die nach § 198 Abs. 3 S. 3 GVG jetzt erforderliche vorherige Verzögerungsrüge greife im vorliegenden Fall nicht, weil für vor Inkrafttreten des ÜGRG bereits abgeschlossene Verfahren diese verfahrensrechtliche Obliegenheit nicht bekannt gewesen sei (Art. 23 S. 5 ÜGRG).

Unter II. 2. begründet das Gericht in ausführlicher Weise: Der Kläger hat gegen das beklagte Land nach § 198 Abs. 2 GVG einen Anspruch auf angemessene Entschädigung – jedoch nur i.H.v. 1.500 EUR. Nach grundsätzlichen Ausführungen zu den Kriterien für die Angemessenheit der Verfahrensdauer, insbesondere der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten, arbeitet das Gericht im Einzelnen heraus, welche sachlich begründeten Verzögerungen beim Amtsgericht vorliegen. Im Ergebnis kommt das Gericht auf Amtsgerichtsebene zu einer Gesamtverzögerung von 8 Monaten, während es in 2. Instanz jedwede Verzögerung verneint. Nach einer Erörterung dazu, ob dem Kläger ein immaterieller Schaden erwachsen ist, folgen Ausführungen zur haftungsausfüllenden Kausalität sowie zur Wiedergutmachung auf andere Weise (§ 198 Abs. 4 GVG), wobei eine ergänzende Wiedergutmachung abgelehnt wird, da kein besonders schwerer Fall vorliege.

Unter den Rn 197–200 des Urteils geht es um den Umfang der Entschädigung. Das Gericht spricht sich für eine zeitanteilige Berechnung aus, so dass – wie hier – für einen unterjährigen Zeitraum eine monatliche Berechnung möglich ist. Im zu entscheidenden Fall hat das OLG die Entschädigung nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG "moderat" erhöht, vor allem weil das Ausgangsverfahren eine Umgangssache und daher als "regelmäßig besonders belastend" anzusehen sei.

Unter Rn 201 wird entschieden, wieweit das beklagte Land Rechtsanwaltsgebühren zu erstatten hat. Die folgende Rn 202 begründet mit §§ 286, 288 BGB den zuerkannten Zinsanspruch, Rn 203 die Nebenentscheidungen nach §§ 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO. Unter Rn 204 wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache im Hinblick auf die Bemessung der Verfahrensdauer eines überlangen Gerichtsverfahrens und die Höhe der Entschädigung die Revision zugelassen (§§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO, 201 Abs. 1 S. 3 GVG).

Der Regierungsentwurf ist bemüht, den neu geschaffenen staatshaftungsrechtlichen Anspruch sui generis in Grenzen zu halten, so dass zusätzlicher Personalaufwand nicht erforderlich wird. Dem liegt die mehrfach geäußerte Hoffnung[7] zugrunde, dass es nach Einf...

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