Auf der Suche nach dem richtigen Weg ist die Lösung in der Mitte zu finden. Einerseits ist natürlich der Auftraggeber Herr des Mandats, der selbst bestimmt, wie seine konkreten Interessen gelagert sind. Es gibt immer wieder Situationen, in denen es dem Mandanten nicht darum geht, das (materiell) Meiste, sondern das (ideell) Beste zu erzielen. Das gilt namentlich im Familien- und im Erbrecht, wo sich viele Entscheidungen eher auf einer gefühlsmäßigen als auf einer materiell-rechtlich rationalen Ebene abspielen.[27] Andererseits gehört es zu den vertraglichen Pflichten des Rechtsanwalts, den Mandanten vor Dummheiten zu bewahren, ihm zu seinem Recht zu verhelfen und ihn dabei womöglich vor sich selbst zu schützen.

Es wäre deshalb äußerst problematisch, wenn der Anwalt in den Fällen einer "einvernehmlichen" Scheidung beide Partner vertreten und z.B. zulassen würde, dass der emotional schwächere Partner in der Hoffnung, mit dem anderen wieder ins Reine zu kommen, in unvernünftiger Weise auf die Geltendmachung von Ansprüchen (z.B. auf Herausgabe von Hausratsgegenständen, auf Unterhalt oder den Versorgungsausgleich) verzichten würde. Hier mag das unvernünftige Verhalten eindeutig im Willen der einen und im (objektiven wie subjektiven) Interesse der anderen Partei liegen und könnte vom Anwalt doch niemals befördert werden.[28]

Andererseits wäre es in manchen der oben dargestellten Familiensituationen praxisfern und geradezu ignorant, das volljährig gewordene Kind und seine Hauptbezugsperson in einen konstruierten Interessenwiderstreit zu drängen und dabei die Lebenswirklichkeit und die Interessenlage der betroffenen Personen zu ignorieren. Deshalb muss zumindest in den Fällen, in denen sich die äußeren Lebensumstände und die emotionalen Beziehungen, also das Einvernehmen zwischen Kind und Elternteil, nicht ändern, die Vertretung durch denselben Rechtsanwalt auch nach Eintritt der Volljährigkeit möglich sein. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass das volljährig gewordene Kind über die erforderliche Einsichtsfähigkeit und auch über eine gewisse emotionale Selbstständigkeit verfügt, von deren Vorliegen der Rechtsanwalt sich zunächst ein genaues Bild machen muss. Stellt er dabei fest, dass das "Kind" in seiner Entwicklung noch unreif ist, sich von seiner Hauptbezugsperson sehr abhängig fühlt und z.B. gar nicht wagen würde, dieser zu widersprechen, scheidet eine weiterhin gemeinsame Vertretung aus.

[27] Vgl. hierzu bereits Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151, 152 f.; Offermann-Burckart, FF 2009, 58, 104, 105 ff.; Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, § 10 Rn 72 f.
[28] Vgl. Schulz, AnwBl 2009, 743, 748, der die sog. einverständliche Scheidung für so problematisch hält, dass er dem forensisch tätigen Familienrechtler rät, diese "aus seinem Repertoire juristischer Begrifflichkeiten zu eliminieren". Vgl. zum Ganzen ausführlich Groß, in: Schnitzler, a.a.O., § 2 Rn 30; Offermann-Burckart, FF 2009, 104, 105 ff.

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