Zur – bisher umstrittenen – Einordnung als Sorge- oder Umgangsregelung hält sich das Gericht zurück und trifft lediglich folgende Aussage:

Zitat

"Nach zutreffender Auffassung enthält das Gesetz keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen. Ob auf entsprechenden Antrag eines Elternteils und mit welchem Inhalt auch eine auf das gleiche Ergebnis gerichtete Sorgerechtsregelung möglich ist, kann hier offenbleiben."

Diese Aussage kann durchaus dem Umstand geschuldet sein, dass das dem BGH vorliegende Verfahren aus einer Umgangsregelung mündete und vom Kindsvater eine Ausweitung auf ein Wechselmodell beantragt war.

Der BGH begründet sein Ergebnis zunächst damit, dass sich nirgends eine zeitliche Grenze für eine Umgangsregelung finde, diese somit auch paritätisch sein könne.

Ferner beschäftigt sich der BGH mit der Systematik zwischen Umgang und elterlicher Sorge. Zwar habe der Gesetzgeber das Residenzmodell zugrunde gelegt (vgl. etwa §§ 1687, 1606 Abs. 3 S. 2, 1629 Abs. 2 S. 2 BGB), damit aber nur den häufigsten Regelungsfall aufgegriffen. Dass es auch Regelungen des Wechselmodells gäbe, habe der Gesetzgeber gewusst.

Man muss laut BGH beim (gemeinsamen) Sorgerecht keinen Lebensschwerpunkt des Kindes festlegen.

Exkurs: Österreich

Anders ist es in Österreich, vgl. §§ 177, 179, 180 ABGB (§ 177 Abs. 4: Sind beide Elternteile mit der Obsorge betraut und leben sie nicht in häuslicher Gemeinschaft, so haben sie festzulegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll; § 179 Abs. 2: Im Fall einer Obsorge beider Eltern nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft haben diese vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird; § 180 Abs. 2 S. 3: Wenn das Gericht beide Eltern mit der Obsorge betraut, hat es auch festzulegen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird.)[10], wobei das dortige Gericht letztlich eine Auslegung der vorgenannten Regelungen dahingehend trifft, dass die Festlegung als Anknüpfungspunkt für andere Rechtsfolgen dient, wie etwa für die Bestimmung als Hauptwohnsitz.

Soweit (hier in Deutschland) in anderen rechtlichen Zusammenhängen die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes bei einem Elternteil unausweichlich ist, steht die Bestimmung des Lebensmittelpunkts eines Kindes regelmäßig vor dem Hintergrund der praktikablen Festlegung öffentlich-rechtlicher Rechtsfolgen und dient hier etwa zur Vereinfachung der Auszahlung öffentlicher Leistungen[11] oder der verlässlichen ordnungsrechtlichen Zuordnung einer Person.[12] Allerdings zeigt schon die – unvollständige – Aufzählung, dass diese Fragen den Rahmen einer gerichtlichen Regelung zum Umgang sprengen dürften. Zugleich zeigt die Komplexität der Problematik, dass die vom Verfasser aufgeworfene Diskussion zu einem Kindesverbund[13] durchaus ihre Berechtigung hat.

Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht laut BGH ebenso wie eine gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang, zumal wenn beide Eltern gleichberechtigte Inhaber der elterlichen Sorge sind und die im Wechselmodell praktizierte Betreuung sich als eine dementsprechende Sorgerechtsausübung zweifellos im vorgegebenen Kompetenzrahmen hält. Bei der Festlegung eines bestimmten Betreuungsmodells handelt es sich um eine Frage der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge. Nicht anders verhält es sich aber auch bei einer herkömmlichen Umgangsregelung. Durch diese wird ebenfalls in die Ausübung des Sorgerechts eingegriffen, indem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und ggf. das Umgangsbestimmungsrecht[14] des oder der Sorgeberechtigten eingeschränkt werden, ohne aber elterliche Kompetenzen zu entziehen oder von dem einen auf den anderen Elternteil zu übertragen. Die mit einer Umgangsregelung verbundene Einschränkung in der Ausübung der elterlichen Sorge ist in der gesetzlichen Systematik von Sorge- und Umgangsrecht angelegt. Mit welchem Umfang das Umgangsrecht gerichtlich festgelegt wird, stellt sich dann als bloß quantitative Frage dar und hat keinen Einfluss auf das grundsätzliche Verhältnis von Sorge- und Umgangsrecht.

Gerichtliche Elternvereinbarungen zum Wechselmodell sind gem. § 156 FamFG familiengerichtlich genehmigungsfähig. Auswirkungen auf das Sorgerecht sollen sich nach BGH über § 1687 BGB und im Konfliktfall über § 1628 BGB lösen lassen.

[10] Vgl. hierzu Österreichischer VfGH v. 9.10.2015, FamRZ 16, 32 ff.
[11] Vgl. BFH FamRZ 2005, 1173, 1174; Senatsbeschl. v. 20.4.2016 – XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053, Rn 12 f. – jeweils zum Kindergeld.
[12] BVerwG FamRZ 2016, 44 – zum Melderecht.
[13] FamRZ 2016, 430–431.
[14] BGH v. 6.7.2016 – XII ZB 47/15, FamRZ 2016, 1752 Rn 44 ff. – Umgangsbestimmung als Teil der Personensorge.

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