Das OLG Bamberg[1] hat sich jüngst in einer Aufsehen erregenden Entscheidung mit der Frage befasst, ob die Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters nach § 1303 BGB bei einer Eheschließung im Ausland zur Nichtigkeit der Ehe führt. Das Gericht hat dabei festgestellt, dass selbst bei einem Verstoß gegen den deutschen ordre public nach Art. 6 EGBGB[2] keine Ehenichtigkeit eintritt, wenn nach dem für die Eheschließung gemäß Art. 11 und 13 EGBGB anzuwendenden ausländischen Recht die Ehe bei Unterschreitung des dort geltenden Ehemündigkeitsalters nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar oder aufhebbar wäre.

Sachverhalt

Das OLG hatte auf die Beschwerde gegen einen Beschluss des AG-Familiengerichts[3] entschieden, dass ein als Vormund bestelltes städtisches Jugendamt nicht über den Aufenthalt einer heute 15-jährigen, aus Syrien stammenden Jugendlichen bestimmen dürfe, die dort – als 14-Jährige – ihren volljährigen Cousin geheiratet hatte. Das Jugendamt hatte die Ehegatten in Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts zunächst getrennt, wogegen der Ehemann Rechtsschutz begehrte.

Internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts

Verfahrensgegenstand ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilaspekt der elterlichen Verantwortung i.S.v. Art. 1 Abs. 1b und Abs. 2 der Brüssel IIa-VO[4] (Zuweisung, Ausübung, Übertragung und vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung sowie Sorge- und Umgangsrecht einschließlich Vormundschaft und Pflegschaft). Hat das betreffende Kind seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, geht die Brüssel IIa-VO nach ihrem Art. 61 Buchst. a dem KSÜ[5] vor. Nach § 97 Abs. 1 S. 2 FamFG bleibt die Brüssel IIa-VO als Rechtsakt der EG unberührt mit der Folge, dass sie in Bezug auf die nationale Regelung zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit in § 99 FamFG (Kindschaftssachen) gleichermaßen vorrangig ist.

Materielle Rechtslage

I. Frage nach dem anwendbaren Recht

Das Umgangs- und Aufenthaltsrecht im Rahmen der Personensorge als Teilbereich des Instituts der elterlichen Verantwortung beurteilt sich – unabhängig von einem "gewöhnlichen Aufenthalt" in Deutschland – nach Maßgabe des KSÜ. Art. 61 Buchst. a Brüssel IIa-VO steht nämlich einer Anwendung der Kollisionsnormen der Art. 15 ff. KSÜ dann nicht entgegen, wenn sich eine internationale Zuständigkeit auch nach dem KSÜ ergibt.[6] Gemäß Art. 20 KSÜ gelten die Art. 15 bis 22 KSÜ auch für Syrer als Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten. Infolgedessen muss Art. 21 EGBGB zurücktreten. Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit (in Bezug auf die elterliche Verantwortung) wenden die Behörden der Vertragsstaaten nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ ihr eigenes Recht an.

II. Kein Aufenthaltsbestimmungsrecht des Vormunds

Der Vormund hat weder ein Aufenthaltsbestimmungsrecht nach den §§ 1800, 1633 BGB noch nach Art. 16 Abs. 3 und 4 KSÜ i.V.m. syrischem Kindschaftsrecht. Durch die frühere Eheschließung der Jugendlichen mit ihrem volljährigen Cousin in Syrien ist nämlich die elterliche Verantwortung nach syrischem Recht erloschen.

1. Wirksame Eheschließung

Nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB bestimmen sich die Eheschließungsvoraussetzungen aufgrund der Staatsangehörigkeit der Verlobten nach syrischem Recht.[7] Damit gelangt das syrische Personenstandsgesetz (PSG)[8] zur Anwendung, das nach seinem Art. 16 in Bezug auf die Ehefähigkeit der Frau grundsätzlich die Vollendung des 17. Lebensjahres voraussetzt. Ausnahmsweise können nach Art. 18 Abs. 1 PSG aber weibliche Jugendliche auch schon mit Vollendung des 13. Lebensjahres eine Ehe eingehen, wenn der zuständige Richter die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der Jugendlichen als erwiesen ansieht. Die Wirksamkeit der Eheschließung nach syrischem Recht steht nach Ansicht des OLG außer Frage.

2. Anerkennung der Eheschließung in Deutschland

Einer Anerkennung der Eheschließung in Deutschland stehen weder Art. 12 Nr. 2 S. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951[9] noch der deutsche ordre public (Art. 6 EGBGB) entgegen. Zwar ist nach deutschem Recht eine Eingehung der Ehe gemäß § 1303 Abs. 2 BGB frühestens mit Vollendung des 16. Lebensjahres unter Befreiung vom allgemeinen Eheschließungsalter von 18 Jahren durch das Familiengericht bei Volljährigkeit des anderen Ehegatten zulässig. Dies schließt jedoch die Anerkennung einer nach ausländischem Recht formal wie sachlich wirksam geschlossenen Ehe in Deutschland gemäß Art. 11 und 13 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich nicht aus – wenngleich in der Literatur kontrovers diskutiert wird, ob und ggf. bis zu welchem Lebensalter die Unterschreitung des Ehemündigkeitsmindestalters aus § 1303 BGB der Auslandsehe doch einen Verstoß gegen den deutschen ordre public begründet.[10]

Das OLG konnte die Frage aber offenlassen. Denn auch bei Annahme eines ordre-public-Verstoßes wäre die Ehe wirksam.

Ein Verstoß gegen Art. 6 EGBGB würde nämlich nur zur Nichtanwendung der ausländischen Norm (§ 18 PSG) führen. Die dadurch entstehende Regelungslücke i...

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