1. Man könnte das Urteil des Bundesgerichtshofs auf die kurze Aussage bringen: "Beiwohnung im Reagenzglas". Tatsächlich geht es in der Entscheidung um die Gewichtung der Beiträge der Mutter und des biologischen Vaters zum Entstehen eines Kindes. Nach früherer Gesetzesterminologie war hierzu eine "Beiwohnung"[1] erforderlich, das heißt, die künftigen Eltern mussten miteinander den Geschlechtsverkehr ausüben. Die moderne Fortpflanzungsmedizin entkoppelt zunehmend den Sex von der Entstehung von Nachwuchs. Die Zeugung mittels ärztlicher Assistenz In-vivo und In-vitro technisiert den Fortpflanzungsvorgang gewissermaßen.[2] Die moderne Fortpflanzungsmedizin ermöglicht es nicht nur, den im Wege der klassischen Beiwohnung nicht fortpflanzungsfähigen heterosexuellen Paaren, die aufgrund geänderter Familienphasen immer mehr zu werden scheinen, sich ihren Kinderwunsch im Wege der medizinischen Assistenz und teilweise mit Hilfe eines fremden Samenspenders zu erfüllen. Bedeutung haben zunehmend auch gleichgeschlechtliche Paare, die auf diese Weise ein gemeinsames Kind haben wollen. Während Frauen, so wie im vorliegenden Fall, nur auf eine Samenspende angewiesen sind, die entweder mit medizinischer Hilfe oder durch Eigenhandlung "weiterverwendet" wird,[3] sind Männer auf eine Leihmutter angewiesen.[4] Das Abstammungsrecht des BGB einschließlich der Ergänzung in § 10 LPartG berücksichtigt diese Formen der modernen Fortpflanzungsmedizin lediglich im Rahmen einer heterologen Insemination eines heterosexuellen Paares (§ 1600 Abs. 5 BGB). Danach wird insbesondere der gleichgeschlechtliche Lebenspartner, der ebenso wie der Ehemann bei einer heterologen Insemination mit der gemeinsamen Kinderwunscherfüllung einverstanden war, nicht automatisch zweiter Elternteil des Kindes. Eine doppelte Mutter- und Vaterschaft durch Anerkennung der Elternschaft sieht das Gesetz derzeit nicht vor.[5]

2. Der Vater war schon immer ungewiss.[6] Die moderne Medizin lässt zwischenzeitlich, abgesehen vom Fall eineiiger Zwillinge, nahezu hundertprozentige Vaterschaftsfeststellungen zu. Allerdings macht das Gesetz die Vaterschaft nicht von einem diesbezüglichen Gutachten abhängig, sondern knüpft zur Herstellung eindeutiger statusrechtlicher Verhältnisse an Vermutungen an. Damit schafft es mehrere Kategorien von Vätern, nämlich den rechtlichen Vater, den biologischen Vater erster Klasse, der der Mutter entweder beigewohnt oder zumindest aufgrund eines Zeugungsentschlusses zur Entstehung des Kindes beigetragen hat, und den Vater zweiter Klasse, der sich auf die bloße Samenspende beschränkt; vom BGH als konsentierte heterologe Insemination bezeichnet. Dieser möchte über die meist gut bezahlte "Hilfestellung" hinaus mit dem so entstandenen Kind nichts zu tun haben; er verzichtet konkludent auf seine Vaterschaft und sein Anfechtungsrecht. Dies macht ihm allerdings das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung[7] unmöglich. Dies erfordert es, eine Identifizierung des Samenspenders, dessen Sperma im Rahmen einer heterologen Insemination verwendet wurde, später zu ermöglichen. Hat das Kind die Vaterschaft des Samenspenders feststellen lassen und ficht es die Vaterschaft des rechtlichen Vaters an, entstehen zwischen dem Kind und dem Samenspender zwingend verwandtschaftliche Beziehungen, die sich insbesondere im Unterhalts- und im Erb- oder Pflichtteilsrecht auswirken. Dies ist unstreitig.[8] Insofern könnte man noch bei den Samenspendern zwischen solchen der Klasse 2a, die in einer Kinderwunschklinik oder bei einem Arzt ihren Samen "abgeben" und deshalb der Dokumentationspflicht unterliegen, und solchen der Klasse 2b, die im Wege einer anonymen Beiwohnung oder Spende ohne Preisgabe ihrer Identität Samen "weitergeben", unterschieden werden. Nur die Letztgenannten treffen später keine Verpflichtungen gegenüber dem Kind, da dieses keine Möglichkeit hat, seinen biologischen Vater ausfindig zu machen. Da auch bewusst wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnisse zu akzeptieren sind,[9] kann es zu einem Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Vaterschaft kommen. Wird der Vater nicht aufgrund der Ehe mit der Mutter vermutet, hat diese es über ihre Einwilligung in der Hand, ein Vaterschaftsanerkenntnis wirksam werden zu lassen oder nicht. Damit kann die unverheiratete Mutter sowohl bei einer Beiwohnung als auch später bei einer künstlichen Insemination darüber entscheiden, wen sie gerne als rechtlichen "Wunschvater" ihres Kindes haben möchte. Der biologische Vater hat, sofern der Wunschvater auch Verantwortung für das Kind übernommen hat und mit diesem in einer sozial-familiären Beziehung lebt, keine Möglichkeit, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten und die Vaterschaft mit rechtlicher Wirkung feststellen zu lassen. Europarechtlich hat der biologische Vater die Möglichkeit der Anfechtung, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine tatsächliche Bindung besteht.[10] Allerdings kann er ohne Rechtsfolgen nach dem Gesetz zur Änderung de...

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