Ein Gutachten beinhaltet eine wissenschaftliche Leistung, die angesichts wissenschaftlich anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen dient, um fachkundige und zuverlässige Aussagen zu treffen. Das Gutachten ist eine Antwort eines Experten auf Fragen, zu denen er mit Hilfe seines Fachwissens, des aktuellen Forschungs-, Wissenschafts- und Erkenntnisstandes und seiner Erfahrung Stellung nimmt.[37] Die gutachtliche Fragestellung betrifft bestimmte Aspekte des Erlebens und Verhaltens von einer Person oder mehreren Personen.

Die im Rahmen der Begutachtung eingesetzten Methoden (z.B. diagnostische Gespräche, Informationsgespräche mit Dritten, Interaktionsbeobachtungen und testpsychologische Untersuchungen) werden im Untersuchungsplan so beschrieben, dass sie nach wissenschaftlich akzeptierten Gütekriterien beurteilt werden können.

Das Ziel der Begutachtung ist somit die Beantwortung der gerichtlichen Beweisfrage, beispielsweise

nach dem Lebensmittelpunkt des Kindes,
nach Kontakten des Kindes mit beiden Eltern nach einer Elterntrennung oder die Frage,
ob eine Gefährdung des Wohlergehens des Kindes vorliegt und wie diese, mit welchen ambulanten Hilfsmitteln strikt nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit abgewendet werden könnte oder
ob eine Unterbringung und Betreuung des Kindes außerhalb des Elternhauses erforderlich ist.
[37] Kubinger/Jäger, Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik, 2003, 187.

I. Rechtsfragen in der Beweisfrage?

Nicht vorgesehen in der deutschen Rechtsordnung ist für das Familiengerichtsverfahren, in die Beweisfrage Rechtsfragen aufzunehmen, also Fragen nach einer Regelung des Sorge- oder Umgangsrechts an den Sachverständigen zu richten, die nur durch eine gerichtliche Entscheidung beantwortet werden können. Das Familiengericht darf somit die Aufgabe der rechtlichen Wertung nicht an einen Sachverständigen delegieren.

Diese erst vor wenigen Jahren konsequent thematisierte Auffassung einiger Juristen in der Familiengerichtsbarkeit[38] beinhaltet einen allgemeinen rechtlichen Grundsatz, der nicht nur im Familiengerichtsverfahren zu Fragen des Umgangsrecht- und Sorgerechtsverfahren, sondern seit jeher auch im Strafverfahren gilt. Dies ergibt sich aus den entsprechenden Verfassungsnormen, insbesondere aus Art. 92 1. Hs GG: "Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; …" und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: "Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.", sowie dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot des fairen Verfahrens.

Alle Beweismittel – egal ob Frei- oder Strengbeweis – richten sich auf die Feststellung von Tatsachen (vgl. § 359 Nr. 1 ZPO: streitige Tatsachen). Die Beantwortung von Rechtsfragen kann somit vom Gericht nicht einem Sachverständigen übertragen werden.

[38] Siehe Fn 29.

II. Hinwirken auf Einvernehmen mit den Beteiligten

Von einem lösungsorientierten Vorgehen, einem lösungsorientierten Gutachten oder einer lösungsorientierten Begutachtung (letztere Terminologie ist in Sachverständigenkreisen bei etlichen Psychologen aktuell[39]) ist im Gesetz nicht die Rede. Dort ist wörtlich geregelt (§ 63 Abs. 2 FamFG), dass das Gericht in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anordnen kann, dass der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.

Auch Salzgeber[40] hebt hervor, dass das Gesetz nicht den Begriff "Lösungsorientierte Begutachtung" verwendet und spricht demzufolge nur vom "Hinwirken auf Einvernehmen" als einem einvernehmensorientierten Prozess.

Zitat

"Der Prozess des Hinwirkens auf Einvernehmen kann somit nach derzeitigem Kenntnisstand als ein Vorgehen definiert werden, das die Eltern, das Kind, die Pflegeeltern und Großeltern (sofern die beiden letzeren Personengruppen Beteiligte des Verfahrens sind) motiviert und veranlasst, das Einleiten, Durchführen und Festlegen erforderlicher, dem Kindeswohl dienlicher Maßnahmen unter Leitung des Sachverständigen aktiv mitzugestalten und zu vereinbaren."

Das beinhaltet jedoch vermutlich ein anderes Vorgehen als das so genannte lösungsorientierte Vorgehen, das eher elternzentriert ist und möglicherweise sogar Zielkriterien und "Lösungen" vorgibt[41] – wie aktuell, wenn z.B. das Wechselmodell als beste aller denkbaren Lösungen herausgestellt wird –, selbst dann, wenn dies von den unmittelbar Betroffenen, also in erster Linie von den Kindern und Eltern, nicht mitgetragen wird oder eine Hochkonflikhaftigkeit der Eltern ein derartiges auf Kooperation, Respekt und Zusammenarbeit angelegtes Modell konterkariert.

[39] Bergau, Lösungsorientierte Begutachtung als Intervention bei hochstrittiger Trennung und Scheidung, 2014, S. 11 f.; Bergau/Ulrich, Empirische Befunde zur lösungsorientierten Begutachtung als Intervention bei hochstrittiger Trennung und Scheidung, NZFam 2015, 785; Fichtner, Trennungsfamilien – lösungsorientierte Begutachtung und gerichtsnahe Beratung, 2015, S. 4.
[40] Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Rechtliche...

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