BGB § 1578 Abs. 1 Satz 1

Leitsatz

a) Bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) sind spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, wann sie eingetreten sind und ob es sich um Minderungen oder Verbesserungen handelt. Weil das Unterhaltsrecht den geschiedenen Ehegatten aber nicht besser stellen will, als er während der Ehe stand oder auf Grund einer absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde, sind grundsätzlich nur solche Steigerungen des verfügbaren Einkommens zu berücksichtigen, die schon in der Ehe absehbar waren, was nicht für einen Einkommenszuwachs infolge eines Karrieresprungs gilt.

b) Schuldet der Unterhaltspflichtige neben dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten auch nachehelich geborenen Kindern oder einem neuen Ehegatten Unterhalt, sind die neu hinzugekommenen Unterhaltspflichten regelmäßig auch bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 Abs. 1 BGB) der geschiedenen Ehe zu berücksichtigen.

c) Soweit ein nachehelicher Karrieresprung lediglich einen neu hinzugetretenen Unterhaltsbedarf auffängt und nicht zu einer Erhöhung des Unterhalts nach den während der Ehe absehbaren Verhältnissen führt, ist das daraus resultierende Einkommen in die Unterhaltsbemessung einzubeziehen.

BGH, Urt. v. 17.12.2008 – XII ZR 9/07 (OLG Düsseldorf, AG Moers)

Anmerkung

Anm. der Redaktion: Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2009, 411 m. Anm. Borth.

2 Anmerkung

1. Der Senat referiert die jüngste Entwicklung seiner Rechtsprechung zu den ehelichen Lebensverhältnissen, als sei sie etwas Folgerichtiges und insofern Überzeugendes. Was dabei deutlich wird, ist jedoch, dass die Rechtsprechung sich mit jedem Schritt schwieriger nachvollziehen lässt. Das beginnt damit, dass die real mit der Scheidung beendeten ehelichen Lebensverhältnisse in der Rechtsprechung fortleben. Genauer gesagt: Ihr Fortbestehen wird fingiert. Entsprechend befremdlich ist es, dass die ehelichen Lebensverhältnisse einer nicht mehr bestehenden Erst- und der gelebten Zweitehe nebeneinander bestehen und sich wechselseitig bedingen und dass Kinder, gleich aus welcher Beziehung sie stammen, die ehelichen Verhältnisse "wandeln". Mit seiner fiktionalen Denkweise fordert der BGH geradezu Kritik heraus.[1]

2. Die Entscheidung enthält trotz Beteuerung des Gegenteils einen logischen Bruch. Solange der BGH den Begriff der wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse erläutert, befasst er sich mit der Bedarfsebene. Die verlässt er, wenn er ergänzend mit dem Grundsatz der Halbteilung argumentiert, aus der je nach Zahl der berechtigten Lebenspartner bzw. ehemaligen Lebenspartner eine Drei- oder Mehrteilung wird.[2] Gegenstand der Teilung sind die verfügbaren Mittel. Damit befinden wir uns auf der logischen Ebene der Leistungsfähigkeit.

3. Der Kernsatz der Entscheidung, der Lebensbedarf von Verpflichtetem und geschiedenem und neuem Ehegatten ergebe sich im Wege der Dreiteilung des vorhandenen Einkommens, verbindet die Ebenen wieder. Die Einsicht, dass der Unterhaltsbedarf von der Leistungsfähigkeit abhängt, lässt sich einfacher ohne die Theorie der wandelbaren Lebensverhältnisse gewinnen.

4. Der mehrfach angeführte "Halbteilungsgrundsatz" ist im Unterhaltsrecht nicht unproblematisch. Er gehört in den ehelichen Zugewinn und den Versorgungsaugleich. Im Unterhaltsrecht ist es nicht ausgemacht, dass dem Verpflichteten stets ein "maßvoll" den Anteil des Berechtigten übersteigender Anteil der Einkünfte verbleibt, jedenfalls nicht, solange der BHG seine Rechtsprechung zu § 1577 Abs2 BGB fortführt.[3] Der "Halbteilungsgrundsatz" ist daher im Unterhaltsrecht nicht per se ein Argument. Er bedarf vielmehr seinerseits der Begründung.

5. Die Rechtfertigung der Dreiteilung zwischen dem Verpflichteten und den berechtigten Ehefrauen ist nicht der "Halbteilungsgrundsatz" sondern die Funktion des Unterhaltsrechts, nach Möglichkeit das Existenzminimum der Beteiligten zu sichern und Berechtigte gleichen Ranges gleich zu behandeln.

6. Faktisch hat sich der BGH zu Recht von einer nach individuellen Lebensverhältnissen differenzierenden Unterhaltsbemessung verabschiedet. Das Maß des Unterhalts wird, ob Mangelfall oder Angemessenheitsfall, aus den unter Einbeziehung der Einkünfte der Berechtigten[4] vorhandenen Mitteln, d.h. nach dem Kriterium der Leistungsfähigkeit ermittelt. Das ist eine – unter dem Aspekt des Unterhaltsrechts als einem Massenphänomen – begrüßenswerte Pauschalierung.

7. Damit beschränkt sich die Rolle der seitherigen Lebensverhältnisse nach BGH darauf, eine Obergrenze des Unterhalts zu bestimmen.[5] Dem ist zuzustimmen. Diese Unterhaltsobergrenze beim nachehelichen Unterhalt bzw. dem Betreuungsunterhalt gem. §1615 l BGB ergibt sich auch aus der Erwägung, dass der Unterhalt dazu bestimmt ist, ehebedingte bzw. sorgebedingte Nachteile auszugleichen.

8. Im Ergebnis ist dem BGH zuzustimmen. Es wäre zu begrüßen, wenn er künftig auf den argumentativen Ballast zum ...

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