Das Verfahrensrecht in Familiensachen ist dem FamFG zu entnehmen. Der Gesetzgeber weicht bewusst von der ZPO ab, da seiner Auffassung nach in Familiensachen eine erhöhte Fürsorgepflicht des Staates und eine erhöhte Verantwortung des Staates für die materiell-rechtliche Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung bestehen.[2] Das FamFG nimmt wiederum in § 113 FamFG für Ehesachen nach § 111 Nr. 1 FamFG und Familienstreitsachen i.S.d. § 112 FamFG Modifikationen des Verfahrensregimes des FamFG durch Verweisung auf die ZPO vor. Davon sind auch die §§ 23 bis 37 FamFG betroffen, welche im FamFG die einschlägigen Regelungen an den Sachvortrag und die Ermittlung und Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen sowie die allgemeinen Dispositionsmöglichkeiten über den Verfahrensgegenstand enthalten. Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG werden die genannten FamFG-Regelungen in Familienstreitsachen durch die §§ 128253 ZPO ersetzt.[3] In § 113 Abs. 2 bis 5 FamFG finden sich wiederum Rückausnahmen von dem Verweis auf die Regelungen der ZPO, wobei insbesondere für Ehesachen in § 113 Abs. 4 FamFG maßgebliche Änderungen der ZPO-Vorschriften angeordnet werden. Dies hat seinen Grund darin, dass hier nach § 127 FamFG das Prinzip des sog. beschränkten Amtsermittlungsgrundsatzes greift, wonach die Beteiligten gerade nicht wie nach den Grundsätzen der ZPO voll über den Verfahrensgegenstand disponieren können.[4] Schließlich finden sich weitere Modifikationen in den besonderen Vorschriften der einzelnen Familiensachen und Familienstreitsachen. Für Ehe- und Familienstreitsachen findet sich in § 115 FamFG eine wichtige Spezialvorschrift für die Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, welche nach § 115 Satz 2 FamFG die ZPO-Vorschriften vollständig verdrängt.[5]

Daher ist bezüglich der verfahrensrechtlichen Anforderungen eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Familiensachen notwendig, der sich dieser Beitrag nun im Folgenden widmet.

[2] BT-Drucks 16/6308, S. 162.
[3] MüKo-FamFG/C. Fischer, 3. Aufl. 2018, § 113 Rn 6.
[4] Sternal/Weber, 21. Aufl. 2023, FamFG § 113 Rn 15; MüKo-FamFG/C. Fischer, 3. Aufl. 2018, § 113 Rn 10.
[5] Sternal/Weber, 21. Aufl. 2023, FamFG § 115 Rn 10.

1. Familiensachen nach § 111 Nr. 2 – Nr. 7 FamFG

Hier gelten die allgemeinen Regeln der §§ 23 bis 37 FamFG. Diese werden nun mit Blick auf die praktisch relevantesten Themen dargestellt.

a) Amtsermittlung des Tatsachenstoffes

Nach § 26 FamFG hat das Gericht[6] von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen[7] erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Damit rückt das FamFG vom dem die ZPO beherrschenden Prinzip der formellen zugunsten des Prinzips der materiellen Wahrheit ab. In Bezug auf den Sachvortrag hat dies vor allem zur Folge, dass keine Bindung an unstreitigen Sachvortrag durch das Gericht besteht, widersprüchlicher Vortrag von Amts wegen aufzuklären ist und keine Bindung an Geständnisse eines Beteiligten besteht (wie etwa in §§ 138 Abs. 3, 288 ZPO).[8] Anerkenntnis- und Verzichtsentscheidungen sind im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens nicht möglich.[9]

Das Gericht ermittelt den rechtserheblichen[10] Sachverhalt für Tatbestand und Rechtsfolge der einschlägigen Normen selbstständig nach pflichtgemäßem Ermessen,[11] wobei die Grundrechte der Beteiligten dem Gericht auferlegen, das Verfahren entsprechend dem effektiven Schutz dieser zu gestalten und dazu eine möglichst zuverlässige Sachverhaltsgrundlage zu ermitteln.[12]

[6] Die folgenden Grundsätze betreffen die erste und zweite Instanz gleichermaßen. Das Beschwerdegericht tritt vollständig anstelle des Ausgangsgerichts, so dass es eigene Ermittlungen vorzunehmen hat, gegebenenfalls solche aus erster Instanz wiederholen muss, und nach §§ 69 Abs. 1 Satz 3, 68 Abs. 3 FamFG auch alle Anhörungen der Beteiligten durchzuführen hat, wobei ergänzende Ermittlungen vor allem dann vorzunehmen sind, wenn die Tatsachenfeststellung erstinstanzlich mangelhaft war, vgl. dazu Sternal/Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 26 Rn 76 und § 68 Rn 79 ff.; MüKo-FamFG/Ulrici, 3. Aufl. 2018, § 26 Rn 23. Liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor (wozu eine ungenügende Aufklärung des Sachverhalts gehören kann, vgl. BayObLG FGPrax 2002, 82) und ist eine umfangreiche Beweiserhebung notwendig (dazu reicht nicht die Nachholung einer gesetzlich vorgegebenen Anhörung oder grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens, vgl. Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 69 Rn 11) und stellt ein Beteiligter einen Zurückweisungsantrag, kann das Beschwerdegericht nach Ermessen auch an das Ausgangsgericht zurückverweisen, vgl. dazu Sternal/Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 69 Rn 24 ff.
[7] Den Tatsachen steht nach herrschender Auffassung ausländisches Recht entsprechend § 293 ZPO gleich, so dass hier z.B. ein Gutachten eingeholt werden kann, vgl. MüKo-FamFG/Ulrici, 3. Aufl. 2018, § 26 Rn 7; Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller, 13. Aufl. 2022, FamFG § 26 Rn 9; Prütting/Helms/Prütting, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 26 Rn 18; BeckOK FamFG/Burschel/Perleberg-Kölbel, 47. Ed. 1.8.2023, § 26...

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