1. Einleitung

Gesetzlichen Regelungen liegen bestimmte Strukturprinzipien zugrunde, aus denen sich ihre Systematik näher erklärt. Nach § 1589 Abs. 1 BGB könnte man für das Abstammungsrecht davon ausgehen, dass die Verwandtschaft primär durch die genetische Verbindung bestimmt ist. Denn Personen sind danach in gerader Linie verwandt, wenn eine von der anderen abstammt. Auch wenn die Statuswahrheit, die auf der Übereinstimmung von genetischer Elternschaft und rechtlicher Zuordnung beruht, den §§ 1591 ff. BGB nicht widerspruchsfrei zugrunde liegt, bildet diese doch ein zentrales Kriterium für die familiäre Zuordnung zweier Personen in der Generationenfolge nach dem geltenden Abstammungsrecht.[1] Welche Bedeutung dem Grundsatz der Statuswahrheit beizumessen ist, wird in der Argumentation des BGH im vorliegenden Beschluss für die sehr spezielle Frage, ob das Zustimmungserfordernis des § 1595 Abs. 1 BGB auch nach dem Tod der Mutter Geltung beansprucht, deutlich.

Die Sachverhalte in den insoweit maßgeblichen Konstellationen weisen häufig spezifische Besonderheiten auf. Kennzeichnend ist, dass die Vaterschaft zu dem Kind zu Lebzeiten der Mutter weder geklärt noch rechtlich etabliert wurde. Dabei versprechen gerade Angaben der Mutter in der Regel eine hohe Gewissheit über den für die Vaterschaft in Betracht kommenden Mann. Die Anerkennung erfolgt häufig in einem höheren Alter des Kindes. Vorliegend verstarb die Mutter, als die Tochter 41 Jahre alt war, und die Vaterschaft wurde anerkannt, als sie 58 Jahre alt war. In einer vergleichbaren Konstellation des KG[2] war die Mutter 1982 verstorben und die Vaterschaftsanerkennung wurde 2015/2016 beurkundet. Das Alter des anerkennungsbereiten Mannes lässt sich den Sachverhalten nur ausnahmsweise entnehmen, zumal dieses für die rechtliche Fragestellung nicht entscheidungserheblich ist. Im Fall des AG Ellwangen[3] war der Mann, der die Vaterschaft anerkannte, 1928 geboren und ließ seine Anerkennung zu dem 1976 geborenen Kind im Alter von 94 Jahren im Jahr 2022 beurkunden. Über die Motivation der Beteiligten, die rechtliche Vaterschaft zu begründen, kann man nur spekulieren, weil sie für das häufig personenstandsrechtlich geführte Verfahren ebenso wenig Relevanz hat. Allerdings könnte eine Vermutung dahingehend bestehen, dass ein aufwändigeres Verfahren zur Volljährigenadoption vermieden werden soll.

2. Bedeutung der Statuswahrheit

Für die Zuordnung eines Mannes als Vater des Kindes nach § 1592 Nr. 1 und 2 BGB ist die bestehende genetische Beziehung nicht Voraussetzung und wird für die Begründung des Eltern-Kind-Verhältnisses zu keinem Zeitpunkt geprüft. Allein im Fall der Auflösung der rechtlichen Beziehung durch Anfechtung der Vaterschaft ist die Einholung eines entsprechenden Gutachtens erforderlich. Die Zuordnung beruht auf der rechtlich begründeten Vermutung und Erwartung, dass sowohl die Geburt während bestehender Ehe als auch die Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter für das Kind ganz überwiegend zu einer Übereinstimmung von rechtlicher Zuordnung und genetischer Abstammung führt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG[4] bedarf es für die Anerkennung der Elternschaft gerade keiner Prüfung, von welcher Person das Kind genetisch abstammt. Vielmehr kann zum Schutz der familiären Beziehungen sowie der Intimsphäre aus bestimmten tatsächlichen Umständen und sozialen Situationen auf die Abstammung des Kindes geschlossen und die rechtliche Elternschaft hieran geknüpft werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die daraus abgeleitete gesetzliche Vermutung in aller Regel zu einer Übereinstimmung von genetischer und rechtlicher Vaterschaft führt.

Im Gegensatz zum OLG Bamberg ist der XII. Senat der Auffassung, dass die Regelung des § 1595 Abs. 1 BGB auslegungsfähig ist (Rn 12), denn der Wortlaut enthält neben dem Zustimmungserfordernis keine weitere Vorgabe, mithin auch keine ausdrückliche Regelung für den Fall des Todes der Mutter. Das Zustimmungserfordernis des Kindes in Abs. 2 der Regelung, wenn der Mutter insoweit die elterliche Sorge nicht zusteht, sowie die weiteren Vorgaben für den Fall der Geschäftsunfähigkeit oder beschränkten Geschäftsfähigkeit in § 1596 Abs. 1 BGB eröffnen den Weg zur Auslegung der Vorschrift.

Für die weitere Argumentation greift der BGH keineswegs allein auf den Zweck der Zustimmung durch die Mutter zurück, sondern zieht hierfür auch maßgeblich die Entstehungsgeschichte heran (Rn 14 ff.). Bis Juni 1998 war die Vaterschaftsanerkennung allein von der Zustimmung des Kindes abhängig und wurde durch die bis dahin bestehenden gesetzliche Amtspflegschaft abgesichert. Mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1998 (KindRG) wurde der Mutter ein eigenes Mitwirkungsrecht durch das Zustimmungserfordernis zugewiesen und die Zustimmung des Kindes auf praktisch seltene Ausnahmefälle reduziert. Der XII. Senat greift das Argument aus dem Regierungsentwurf des KindRG auf und begrenzt einen daraus abzuleitenden Willen des Gesetzgebers jedoch dahingehend, dass dieser...

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