Ihr gegen die Ausgangsentscheidung eingelegtes Rechtsmittel, mit dem sie sich nur noch gegen die zugunsten des Vaters erfolgte Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts wendet, begründet die Mutter mit dem – aus ihrer Sicht – nicht ausreichend beachteten Willen des gemeinsamen 9-jährigen Sohnes und greift damit ein in Kindschaftssachen typisches Argument auf, dem vermeintlich durchgreifende Wirkung zukommen soll.

1. Maßstab jeder zu treffenden familiengerichtlichen Regelung der elterlichen Sorge sowie der Ausgestaltung von Umgangskontakten ist das Kindeswohl (§ 1697a BGB).[2] Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird durch das Förderungsprinzip, den Kontinuitätsgrundsatz, die Bindungen des Kindes sowie den Kindeswillen näher präzisiert.[3] Im Zentrum der Betrachtung steht damit das Kind, so dass bei einer Kollision der Interessen von Eltern und Kind, den Interessen des Kindes Vorrang einzuräumen ist.[4] Dieses Wertungsverhältnis trägt der Tatsache Rechnung, dass das Kind selbst Grundrechtsträger[5] mit einer eigenen Menschenwürde und einem eigenen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist.[6] Der erklärte Kindeswille ist Ausdruck einer eigenen Entscheidung im Sinn der Ausübung von Selbstbestimmung.[7] Darüber hinaus lassen sich aus dem erklärten Willen bestehende Bindungen und Neigungen eines Kindes erkennen.[8] Die Gerichte sind daher gehalten, den Kindeswillen in der Gesamtabwägung als wichtigen Faktor zu beachten. Zwar gilt dies grundsätzlich unabhängig vom Kindesalter, doch ist in die gerichtliche Entscheidung gleichwohl die bestehende psychische und körperliche Verfassung des Kindes einzubeziehen,[9] so dass gerade auch die altersgemäße Entwicklung des Kindes Bedeutung erlangt. In der Regel wird die für eine sachgerechte Willensbildung notwendige Reife Kindes ab dessen 12. Lebensjahr angenommen,[10] doch schließt dies keine Einzelfallprüfung aus, so dass die Gründe etwa für eine ablehnende Haltung gegenüber Umgangskontakten, durch das Gericht zu ermitteln und angemessen zu bewerten sind.[11] Gleichzeitig kann das Gericht aber auch gehalten sein, bei einer nachvollziehbaren und aus Kindessicht begründeten Ablehnung von Umgangskontakten, auf das Kind einzuwirken und ihm die Bedeutung des Umgangs vor Augen zu führen.[12]

2. Der Bedeutsamkeit und damit einhergehend auch der Feststellung des Kindeswillens trägt das Gesetz sowohl durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands (§ 158 FamFG) als auch der persönlichen Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG) Rechnung.

Die Beiordnung eines Verfahrensbeistandes erfolgt in Umsetzung des aus Art. 12 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention folgenden Beteiligungsgebots des Kindes, d.h. dem Kind wird im Verfahren ein eigener Interessenvertreter zugeordnet, so dass eine Wahrnehmung der originären Rechte und Belange des Kindes – in Ausgestaltung seines Grundrechtsschutzes – sichergestellt ist.[13] Unabhängig von der in § 158 Abs. 2 FamFG geregelten – mit Blick auf die besondere Grundrechtsrelevanz der dort genannten Verfahren – zwingenden Bestellung eines Verfahrensbeistands, besitzt die Regelbestellung gem. § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG für den Fall des erheblichen Interessengegensatzes zwischen dem Kind und seinem gesetzlichen Vertreter besondere Praxisrelevanz und gewährleistet die Einbringung und Gewichtung des Kindeswillens im Verfahren.

Darüberhinaus wird der Ermittlung des Kindeswillens durch die Neufassung des § 159 FamFG[14] und den damit einhergehenden verdichteten Voraussetzungen zur Anhörung des Kindes in besonderem Maß Rechnung getragen. Die persönliche Anhörung des Kindes ist nunmehr grundsätzlich verpflichtend. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 159 Abs. 2 FamFG kann hiervon abgesehen werden, wobei in den Verfahren der Kindeswohlgefährdung gem. §§ 1666, 1666 a BGB, die die Person des Kindes betreffen, zumindest dann aber die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zwingend ist, wenn das Kind (noch) nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun.

3. Unbeschadet des besonderen Ranges, der dem geäußerten Kindeswillen im gerichtlichen Verfahren zukommt, kann hieraus gleichwohl nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass er regelmäßig streitentscheidende Bedeutung hat. Diese Folge kann nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn der erklärte Wille so stark ist, dass er im Ergebnis nicht übergangen werden kann, ohne dass das Kind hierdurch in seiner Existenz gefährdet würde.[15] Im Übrigen muss in die gerichtliche Wertung vielmehr einbezogen werden, dass der erklärte Kindeswille möglicherweise auf die Manipulation durch einen Elternteil zurückzuführen, Ausdruck eines massiven Loyalitätskonflikts ist, so dass ihm nur eine abgeschwächte Bedeutung zukommt[16] oder aber auf unrealistischen Vorstellungen des Kindes beruht.

Der subjektiv geäußerte Kindeswille muss sich daher stets am objektiven Kindeswohl messen lassen.[17] Er muss autonom gebildet, intensiv, stabil, ernsthaft und zielorientiert sein, d.h. er muss Ausdruck eigener Bedürfnisse des Kin...

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