18. Göttinger Workshop zum Familienrecht

Der 18. Göttinger Workshop zum Familienrecht behandelte in diesem Jahr das Thema Kindgerechte Verfahren – Anspruch und Wirklichkeit in Kindschaftssachen. Rund 40 Teilnehmende diskutierten Anfang November 2021 in Göttingen auf dem von Prof. Dr. Eva Schumann ausgerichteten Workshop die Frage, wie die Bedürfnisse von Kindern im familiengerichtlichen Verfahren angemessen einbezogen und verwirklicht werden können. Damit griff der ursprünglich für Ende 2020 geplante Workshop ein hochaktuelles Thema auf, wie die jüngsten Reformen zum FamFG und GVG zeigen. Diese sehen neben besonderen Qualifikationsanforderungen für beteiligte Berufsgruppen auch eine Stärkung der verfahrensrechtlichen Stellung von Kindern vor (BT-Drucks 19/23707, S. 21). Die Vorträge, die unterschiedliche Aspekte vor, während und nach der Durchführung von Elternkonflikt- und Kinderschutzverfahren beleuchteten, sollen bis Ende 2022 im Göttinger Universitätsverlag erscheinen und stehen dann auch als Online-Publikation zur Verfügung.

Eröffnet wurde der Workshop mit einem Vortrag von Prof. Dr. Matthias Jestaedt (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen bei Elternkonflikten und im Bereich des Kinderschutzes. Ausgangspunkt dieser Betrachtung waren die Kindesgrundrechte, welche grundsätzlich durch die Eltern wahrgenommen werden. Korrelierend mit der wachsenden Selbstbestimmung des Kindes und der zunehmenden Wahrnehmung seiner eigenen Grundrechte hat die Elternverantwortung jedoch graduell zu weichen. Mit der wachsenden Selbstbestimmung gehen auch die gesetzlichen Mündigkeitsstufen einher, die Ausdruck dafür sind, dass Kinder mit zunehmender Reife ihre Rechte – insbesondere auch im gerichtlichen Verfahren – eigenständig wahrnehmen können (sollen). Die Rolle des Staates sowohl in Kinderschutzverfahren als auch in Elternkonfliktverfahren wurde anschließend lebhaft diskutiert, wobei im Fokus weniger das Kind, sondern vor allem das Verhältnis zwischen den Eltern und dem Gericht stand.

Prof. Dr. Rüdiger Ernst (Vorsitzender Richter am Kammergericht Berlin) behandelte in seinem Vortrag die Unterschiede zwischen Kinderschutzverfahren als Amtsverfahren und Elternkonfliktverfahren als Antragsverfahren. Im Bereich der Kinderschutzverfahren kritisierte Ernst, dass das Jugendamt häufig seine gesetzliche Beteiligtenrolle nicht angemessen ausfülle. Er forderte weiter, dass ein längerer Eingriff in die Elternrechte nicht allein aufgrund eines isolierten Eilverfahrens und einer daraus folgenden einstweiligen Anordnung erfolgen dürfe. Den Schwerpunkt seines Vortrags bildeten die Unterschiede bei der Einleitung und Beendigung von Elternkonflikt- und Kinderschutzverfahren. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere die Beendigung von Umgangsverfahren thematisiert, welche, sofern man sie als Amtsverfahren einordnet, nach Ansicht von Ernst nicht durch Antragsrücknahme der Eltern, sondern nur durch begründeten richterlichen Beschluss, beendet werden können.

Den dritten Vortrag hielt Prof. Dr. Isabell Götz (Vorsitzende Richterin am OLG München) zum Thema Das Kind im Zentrum des Verfahrens. Als zentrales Instrument kindgerechter Verfahren hob sie die Kindesanhörung hervor. Von dieser kann seit der 2021 in Kraft getretenen Neuregelung des § 159 FamFG in Verfahren nach §§ 1666 f. BGB nur bei Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes oder bei Gefahr in Verzug abgesehen werden. In Elternkonfliktverfahren könne es laut Götz problematisch sein, wenn sich Eltern bereits im ersten Termin einigen und das Verfahren daraufhin beendet wird, ohne dass das Kind zuvor angehört wurde. Die Neuregelung des § 68 V FamFG, nach der alle Verfahrenshandlungen in der Beschwerdeinstanz – auch bei ordnungsgemäßer Durchführung in der ersten Instanz – erneut vorgenommen werden müssen, sah Götz aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwandes kritisch. Sie wies auch auf weitere Probleme hin, die sich aus dem ungelösten Verhältnis zwischen Jugendamt und Familiengericht sowie aus der Ressourcenknappheit in den Jugendämtern ergeben.

Zur kindgerechten Justiz aus sozialwissenschaftlicher Sicht referierte Prof. Dr. Heinz Kindler (DJI München). Leitend war die Kernthese, dass die in Rechtswissenschaft und -praxis geführte Diskussion um eine kindgerechte Justiz von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren könne. So sollte es in Kinderschutzverfahren nicht allein um die Frage gehen, eine (erneute) Gefahr zu verhindern, sondern auch um die Wahrnehmung und Abwendung von im Kind bereits angelegten inneren Schädigungsprozessen. Des Weiteren sollte eine kindgerechte Anhörung so ausgestaltet sein, dass Kinder darin unterstützt werden, sich zu äußern. Dazu gehöre u.a. eine zugewandte Haltung, ein Vertrauensaufbau sowie ein standardisiertes Vorgehen bei Befragungen. Zuletzt wurde die Problematik der oft zu langen Verfahrensdauer angesprochen, die Kindler vor allem auf einen Mangel an Sachverständigen zurückführte. Zu dieser Frage und möglichen...

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