[1] Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner, ihren früheren Ehemann, die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen.

[2] Mit Urteil des AG – Familiengerichts – vom 10.5.2010 wurde die am 22.6.1984 zwischen den Parteien geschlossene Ehe geschieden. Am gleichen Tag schlossen die Gläubigerin und der Schuldner vor dem Amtsgericht – Familiengericht – einen Zwischenvergleich, in dem sich der Schuldner verpflichtete, bis zum rechtskräftigen Abschluss der Folgesache "nachehelicher Unterhalt" einen monatlichen Ehegattenunterhalt an die Gläubigerin in Höhe von 556 EUR zu zahlen. Am 10.6.2010 heiratete der Schuldner seine jetzige Ehefrau, der er nach seinem Vortrag in vollem Umfang unterhaltspflichtig ist.

[3] Wegen Unterhaltsrückstandes sowie künftig fällig werdenden monatlichen Unterhalts von 556 EUR hat die Gläubigerin am 1.7.2010 gegen den Schuldner einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitseinkommens gepfändet worden sind. In Abschnitt B ("pfandfreier Betrag") des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist angeordnet, dass dem Schuldner von seinem Nettoeinkommen 760 EUR monatlich verbleiben dürfen. Zur Begründung ist ausgeführt: "Gemäß §§ 850d Abs. 2 ZPO, 1609 BGB ist ein neuer Ehepartner des Schuldners der hier vollstreckenden Gläubigerin gegenüber nachrangig und findet keine Berücksichtigung."

[4] Die Erinnerung des Schuldners, mit der er die Erhöhung des pfandfreien Betrages wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner jetzigen Ehefrau begehrt hat, hat das AG – Vollstreckungsgericht – mit der Begründung zurückgewiesen, schon der erste Anschein spreche dafür, dass die titulierten Unterhaltsansprüche der Gläubigerin gegenüber solchen der jetzigen Ehefrau vorrangig seien. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hatte Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners.

[5] II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

[6] 1. Das Beschwerdegericht führt aus, die Bevorrechtigung der Gläubigerin nach § 850d Abs. 1, 2 ZPO müsse sich – zumindest im Wege der Auslegung – aus dem Vollstreckungstitel ergeben. Es liege nahe, insoweit die gleichen Grundsätze wie für die Vollstreckung eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung nach § 850f Abs. 2 ZPO anzuwenden. Auch in Fällen der vorliegenden Art spreche gegen eine materielle Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts, dass der Umfang der Eingriffsbefugnisse durch den Titel festgelegt werde. Allein das Prozessgericht – und nicht der im Vollstreckungsverfahren in erster Linie funktional zuständige Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts – habe darüber zu befinden, welche Rechte dem Gläubiger zustehen würden und durchsetzbar seien. Im vorliegenden Fall lasse sich der Nachweis einer Bevorrechtigung der Gläubigerin nach § 850d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 Nr. 2 BGB nicht mit dem Zwischenvergleich vom 10.5.2010 führen. Darin sei keine Vereinbarung über eine Bevorrechtigung getroffen worden. Ob die im Jahre 1984 zwischen den Parteien geschlossene Ehe materiell-rechtlich eine solche von langer Dauer i.S.d. § 1609 Nr. 2 BGB sei, obliege nicht der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts und damit auch nicht derjenigen des Beschwerdegerichts. Danach hätten die Gläubigerin als die geschiedene Ehefrau und die jetzige Ehefrau des Schuldners untereinander den gleichen Rang. Nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO sei dem Schuldner über seinen eigenen notwendigen Unterhalt, der unstreitig 760 EUR monatlich betrage, hinaus die Hälfte des Nettoeinkommens pfandfrei zu belassen.

[7] 2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

[8] Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO die Festlegung der Rangfolge zwischen der Gläubigerin und der jetzigen Ehefrau des Schuldners nach § 850d Abs. 2 ZPO, § 1609 Nr. 2, 3 BGB unterlassen. Es hätte deshalb die Unterhaltsansprüche der Gläubigerin und die der jetzigen Ehefrau des Schuldners bei der Bemessung des pfandfreien Betrages nicht ohne eigene Prüfung als gleichrangig behandeln dürfen.

[9] a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts muss sich bei der Zwangsvollstreckung von Unterhaltsansprüchen nach § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO aus dem Vollstreckungstitel allein ergeben, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt, nicht hingegen, dass der Gläubiger gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten bevorrechtigt ist.

[10] aa) Zu § 850f Abs. 2 ZPO hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es nicht Aufgabe des ...

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