Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Elternteil eines an einer schweren Krankheit leidenden volljährigen Kindes. Rückkehrentscheidung. Gerichtlicher Rechtsbehelf. Aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes. Garantien bis zur Rückkehr. Grundbedürfnisse

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7, 19, 47

 

Beteiligte

CPAS de Seraing

LM

Centre public d'action sociale de Seraing

 

Tenor

Die Art. 5, 13 und 14 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in Verbindung mit Art. 7, Art. 19 Abs. 2 sowie den Art. 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die nicht vorsieht, dass die Grundbedürfnisse eines Drittstaatsangehörigen so weit wie möglich befriedigt werden, wenn

  • dieser gegen eine gegen ihn ergangene Rückkehrentscheidung einen Rechtsbehelf eingelegt hat;
  • das volljährige Kind dieses Drittstaatsangehörigen an einer schweren Krankheit leidet;
  • die Anwesenheit des Drittstaatsangehörigen bei dem volljährigen Kind für dieses unabdingbar ist;
  • im Namen des volljährigen Kindes gegen eine gegen dieses Kind ergangene Rückkehrentscheidung, deren Vollstreckung es der ernsthaften Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands aussetzen könnte, ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist und
  • der Drittstaatsangehörige über keine Mittel verfügt, um selbst für die Befriedigung seiner Bedürfnisse sorgen zu können.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Liège (Arbeitsgerichtshof Lüttich, Belgien) mit Entscheidung vom 17. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2019, in dem Verfahren

LM

gegen

Centre public d'action sociale de Seraing

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und A. Azema als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 13 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen LM, einem Drittstaatsangehörigen, und dem Centre public d'action sociale de Seraing (Öffentliches Sozialhilfezentrum Seraing, Belgien) (im Folgenden: CPAS) wegen dessen Entscheidungen, mit denen LM die Sozialhilfe gestrichen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 3 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

3. ‚Rückkehr’: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen – in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung – in

  • deren Herkunftsland oder
  • ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder
  • ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

4. ‚Rückkehrentscheidung’: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

5. ‚Abschiebung’: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat”.

Rz. 4

Art. 5 dieser Richtlinie bestimmt:

„Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

c) den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen,

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.”

Rz. 5

Art. 8 Abs. 3 der genannten Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten können eine getrennte behördliche oder gerichtliche Entscheidung oder Maßnahme erlassen, mit der die Abschiebung angeordnet wird.”

Rz. 6

Art. 9 („Aufschub der Abschiebung”) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,

  1. wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde oder
  2. solange nach Artikel 13...

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