Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. An einer schweren Krankheit leidender Drittstaatsangehöriger. Rückkehrentscheidung. Gerichtlicher Rechtsbehelf. Aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes. Voraussetzungen. Gewährung von Sozialhilfe

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 19, 47

 

Beteiligte

CPAS de Liège

B

Centre public d'action sociale de Liège

 

Tenor

Die Art. 5 und 13 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sind im Licht von Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsstreit in Sozialhilfeangelegenheiten befasst ist, dessen Ausgang von einer etwaigen Aussetzung der Wirkungen einer gegen einen an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen ergangenen Rückkehrentscheidung abhängt, davon ausgehen muss, dass eine Klage auf Aufhebung und Aussetzung der Rückkehrentscheidung kraft Gesetzes zur Aussetzung dieser Entscheidung führt, auch wenn sich diese Aussetzung nicht aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften ergibt, wenn

  • diese Klage ein Vorbringen zum Nachweis dessen, dass die Vollstreckung dieser Entscheidung den Drittstaatsangehörigen der ernsthaften Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands aussetzen würde, enthält und dieses Vorbringen nicht offensichtlich unbegründet ist und wenn
  • diese Rechtsvorschriften keinen anderen Rechtsbehelf vorsehen, der genauen, klaren und vorhersehbaren Regeln folgt und der kraft Gesetzes die Aussetzung einer solchen Entscheidung nach sich zieht.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Liège (Arbeitsgerichtshof Lüttich, Belgien) mit Entscheidung vom 11. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 2019, in dem Verfahren

B.

gegen

Centre public d'action sociale de Liège

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von B., zunächst vertreten von D. Andrien und P. Ansay, avocats, dann von D. Andrien, avocat,
  • des Centre public d'action sociale de Liège, zunächst vertreten durch M. Delhaye und G. Dubois, avocats, dann durch M. Delhaye und J.-P. Jacques, avocats,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, C. Pochet und C. Van Lul als Bevollmächtigte im Beistand von C. Piront und S. Matray, avocates,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer, J. M. Hoogveld, M. K. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azema und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Mai 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 13 sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen B., einer Drittstaatsangehörigen, und dem Centre public d'action sociale de Liège (Öffentliches Sozialhilfezentrum Lüttich, Belgien) (im Folgenden: CPAS) wegen dessen Entscheidungen, mit denen B. die Sozialhilfe gestrichen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115 definiert den Begriff „illegaler Aufenthalt” als „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 der [Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1)] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats”.

Rz. 4

Art. 5 dieser Richtlinie bestimmt:

„Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

c) den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen,

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.”

Rz. 5

In Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten ...

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