Entscheidungsstichwort (Thema)

Zollkodex, Zollschuld, Begriff des gesetzlich geschuldeten Betrags, Erfordernis einer buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags vor dessen Mitteilung an den Zollschuldner

 

Leitsatz (amtlich)

1. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der zu erhebenden Abgaben im Sinne dieser Bestimmung die „buchmäßige Erfassung“ dieses Betrags im Sinne von Art. 217 Abs. 1 der Verordnung darstellt.

2. Die „buchmäßige Erfassung“ im Sinne von Art. 217 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist von der Aufnahme der festgestellten Ansprüche in die Eigenmittel-Buchführung im Sinne von Art. 6 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 des Rates vom 22. Mai 2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften zu unterscheiden. Da Art. 217 der Verordnung Nr. 2913/92 keine Einzelheiten der „buchmäßigen Erfassung“ im Sinne dieser Bestimmung und somit keine technischen oder förmlichen Mindestanforderungen vorschreibt, ist diese buchmäßige Erfassung so vorzunehmen, dass gesichert ist, dass die zuständigen Zollbehörden den genauen Betrag der einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, um insbesondere zu ermöglichen, dass die buchmäßige Erfassung der betreffenden Beträge auch gegenüber dem Zollschuldner mit Bestimmtheit festgestellt wird.

3. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass die Mitteilung des Betrags der zu zahlenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner durch die Zollbehörden in geeigneter Form nur dann wirksam erfolgen kann, wenn der Betrag dieser Abgaben von diesen Behörden zuvor buchmäßig erfasst worden ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, spezifische Verfahrensregeln hinsichtlich der Form zu erlassen, in der die Beträge dieser Abgaben dem Zollschuldner mitzuteilen sind, sofern auf diese Mitteilung innerstaatliche Verfahrensregeln mit allgemeiner Geltung angewandt werden können, die eine angemessene Information des Zollschuldners gewährleisten und es diesem ermöglichen, seine Rechte in voller Kenntnis der Sachlage wahrzunehmen.

4. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem nationalen Gericht nicht, sich auf eine Vermutung der Richtigkeit der Erklärung der Zollbehörden zu stützen, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben im Sinne von Art. 217 der Verordnung Nr. 2913/92 vor der Mitteilung dieses Betrags an den Schuldner erfolgt ist, vorausgesetzt, dass der Effektivitätsgrundsatz und der Äquivalenzgrundsatz beachtet worden sind.

5. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass die Mitteilung des Betrags der zu erhebenden Abgaben vor der buchmäßigen Erfassung dieses Betrags durch die Zollbehörden des betreffenden Mitgliedstaats erfolgen muss und dass, wenn eine buchmäßige Erfassung gemäß Art. 217 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 nicht stattgefunden hat, dieser Betrag von diesen Behörden nicht erhoben werden kann, die jedoch die Möglichkeit behalten, unter Beachtung der in Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 vorgesehenen Voraussetzungen und der zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollschuld entstanden ist, geltenden Verjährungsvorschriften eine neue Mitteilung des Betrags vorzunehmen.

6. Der Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bleibt auch dann „gesetzlich geschuldet“ im Sinne von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92, wenn er dem Zollschuldner mitgeteilt worden ist, ohne zuvor gemäß Art. 221 Abs. 1 dieser Verordnung buchmäßig erfasst worden zu sein, doch muss der Zollschuldner, wenn eine solche Mitteilung nicht mehr möglich ist, weil die in Art. 221 Abs. 3 dieser Verordnung festgelegte Frist abgelaufen ist, grundsätzlich diesen Betrag von dem Mitgliedstaat erstattet erhalten können, der ihn erhoben hat.

 

Normenkette

EWGV 2913/92 Art. 221 Abs. 1, Art. 217 Abs. 1, Art. 236 Abs. 1

 

Beteiligte

Direct Parcel Distribution Belgium

Belgischer Staat

Direct Parcel Distribution Belgium NV

 

Verfahrensgang

Hof van Cassatie (Belgien) (Urteil vom 22.05.2008; Abl.EU 2008, Nr. C 247/3)

 

Tatbestand

Zollkodex der Gemeinschaft ‐ Zollschuld ‐ Abgabenbetrag ‐ Art. 217 und 221 ‐ Eigenmittel der Gemeinschaften ‐ Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 ‐ Art. 6 - Erfordernis einer buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags vor dessen Mitteilung an den Zollschuldner ‐ Begriff ‘gesetzlich geschuldeter Betrag’“

In der Rechtssache C-264/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hof van Cassatie (Belgien) mit Entscheidung vom 22. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 2008, in dem Verfahren

Belgische Staat

gegen

Direct Parcel Distribution Belgium NV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Richters C. W. A. Timmermans (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Au...

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