Entscheidungsstichwort (Thema)

Unionsbürgerschaft. Freizügigkeit und freier Aufenthalt in den Mitgliedstaaten. Im Verfassungsrang stehendes Gesetz eines Mitgliedstaats über die Aufhebung des Adels in diesem Staat. Nachname, den eine volljährige Person, die Angehörige dieses Staates ist, durch Adoption in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie wohnt, erworben hat. Adelstitel und Adelsprädikat, die Teil des Nachnamens sind. Eintragung in das Personenstandsregister durch die Behörden des ersten Mitgliedstaats. Berichtigung der Eintragung von Amts wegen. Rücknahme des Adelstitels und des Adelsprädikats

 

Beteiligte

Sayn-Wittgenstein

Ilonka Sayn-Wittgenstein

Landeshauptmann von Wien

 

Tenor

Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es den Behörden eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Anerkennung des Nachnamens eines Angehörigen dieses Staates in allen seinen Bestandteilen, wie er in einem zweiten Mitgliedstaat, in dem dieser Staatsangehörige wohnt, bei seiner Adoption als Erwachsener durch einen Staatsangehörigen dieses zweiten Staates bestimmt wurde, abzulehnen, wenn dieser Nachname einen Adelstitel enthält, der im ersten Mitgliedstaat aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig ist, sofern die in diesem Zusammenhang von diesen Behörden ergriffenen Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sind, d. h. zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem legitimerweise verfolgten Zweck stehen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 18. Mai 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni 2009, in dem Verfahren

Ilonka Sayn-Wittgenstein

gegen

Landeshauptmann von Wien

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Sayn-Wittgenstein, vertreten durch Rechtsanwalt J. Rieck,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und E. Handl-Petz als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch D. Hadroušek als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, J. Möller und J. Kemper als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,
  • der litauischen Regierung, vertreten durch R. Mackevičienė und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,
  • der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Oktober 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sayn-Wittgenstein, einer in Deutschland wohnenden österreichischen Staatsangehörigen, und dem Landeshauptmann von Wien über dessen Entscheidung, die Eintragung des in Deutschland nach einer Adoption durch einen deutschen Staatsangehörigen erworbenen Familiennamens Fürstin von Sayn-Wittgenstein im Geburtenbuch zu berichtigen und durch den Namen Sayn-Wittgenstein zu ersetzen.

Rechtlicher Rahmen

Österreichisches Recht

Adelsaufhebungsgesetz und Vollzugsanweisungen

Rz. 3

Das Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden vom 3. April 1919 (StGBl. Nr. 211/1919) in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (BGBl. Nr. 1/1920) (im Folgenden: Adelsaufhebungsgesetz) steht nach Art. 149 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes im Verfassungsrang.

Rz. 4

§ 1 des Adelsaufhebungsgesetzes lautet:

„Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge österreichischer Staatsbürger werden aufgehoben.”

Rz. 5

§ 4 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die Entscheidung darüber, welche Titel und Würden nach § 1 als aufgehoben anzusehen sind, steht dem Staatssekretär für Inneres und Unterricht zu.”

Rz. 6

Die Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht und des Staatsamtes für Justiz, im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern, vom 18. April 1919 über die Aufhebung des Adels und gewisser Titel und Würden (StGBl. Nr. 237/1919) bestimmt in ihrem § 1:

„Die Aufhebung des Adels, seiner äußeren Ehrenvorzüge, weiters der bloß zur Auszeichnung verliehenen, mit einer amtlichen Stellung, dem Ber...

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