Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. Freizügigkeit und freier Aufenthalt in den Mitgliedstaaten. Gesetz eines Mitgliedstaats, mit dem Adelsvorrechte abgeschafft und die Verleihung neuer Adelsbezeichnungen verboten werden. Nachname eines volljährigen Angehörigen dieses Mitgliedstaats, der anlässlich eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Angehörigkeit der Betreffende ebenfalls besitzt, erworben wurde. Name, der Adelsbestandteile umfasst. Wohnort im erstgenannten Mitgliedstaat. Weigerung der Behörden des erstgenannten Mitgliedstaats, den im zweitgenannten Mitgliedstaat erlangten Namen im Personenstandsregister einzutragen. Rechtfertigung. Ordre public. Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts

 

Normenkette

AEUV Art. 21

 

Beteiligte

Bogendorff von Wolffersdorff

Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff

Standesamt der Stadt Karlsruhe

Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe

 

Tenor

Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet sind, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in dem er diesen Namen erworben hat, den er frei gewählt hat und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adelsbestandteile enthält, sofern, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht zukommt, erwiesen ist, dass eine solche Ablehnung der Anerkennung in diesem Zusammenhang insoweit aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Karlsruhe (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2014, in dem Verfahren

Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff

gegen

Standesamt der Stadt Karlsruhe,

Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff selbst und seines Rechtsanwalts T. Donderer,
  • des Zentralen Juristischen Dienstes der Stadt Karlsruhe, vertreten durch D. Schönhaar und P. Becker als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und K. Petersen als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen, M. Wilderspin und C. Tufvesson als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 21 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff einerseits und dem Standesamt der Stadt Karlsruhe sowie dem Zentralen Juristischen Dienst der Stadt Karlsruhe andererseits wegen der Weigerung dieser Behörden, die in der Geburtsurkunde des Antragstellers des Ausgangsverfahrens eingetragenen Vor- und Nachnamen zu ändern und im Personenstandsregister Adelsbestandteile aufzuführen, die Teil des vom Antragsteller des Ausgangsverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat erlangten Nachnamens sind.

Deutsches Recht

Rz. 3

Nach Art. 123 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949 (BGBl. 1949 I S. 1) „[gilt] Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages … fort, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht”.

Rz. 4

Art. 109 der am 11. August 1919 in Weimar angenommenen und am 14. August 1919 in Kraft getretenen Verfassung des Deutschen Reichs (Reichsgesetzblatt 1919, S. 1383, im Folgenden: Weimarer Verfassung) lautet:

„Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.

Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.

Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.

Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden.

Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.”

Rz. 5

Gemäß Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Deutschland) vom 11. März 1966 und 11. Dezember 1996 gilt Art. 109 der Weimarer Verfassung nach Art. 123 Abs. 1 GG fort und nimmt in der Normenhierarchie den...

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