Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Warenverkehr. Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen. Unternehmen, das seinen Sitz im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien hat. Regelung, die unter Androhung absoluter Nichtigkeit vorschreibt, dass Rechnungen in niederländischer Sprache abzufassen sind. Konzessionsvertrag mit grenzüberschreitendem Charakter. Beschränkung. Rechtfertigung. Unverhältnismäßigkeit

 

Normenkette

AEUV Art. 35

 

Beteiligte

New Valmar

New Valmar BVBA

Global Pharmacies Partner Health Srl

 

Tenor

Art. 35 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats wie der Flämischen Gemeinschaft des Königreichs Belgien entgegensteht, die jedes Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit verpflichtet, sämtliche Angaben auf Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausschließlich in der Amtssprache dieser Einheit abzufassen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent, Belgien) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2015, in dem Verfahren

New Valmar BVBA

gegen

Global Pharmacies Partner Health Srl

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, A. Arabadjiev und F. Biltgen sowie der Richter J. Malenovský, J.-C. Bonichot, C. Vajda, S. Rodin und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der New Valmar BVBA, vertreten durch P. Devos, advocaat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch J. Van Holm und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von H. De Bauw und B. Martel, advocaten,
  • der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und R. Dzikovič als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, M. van Beek und G. Wilms als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. April 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der New Valmar BVBA und der Global Pharmacies Partner Health Srl (im Folgenden: GPPH) wegen mehrerer unbezahlter Rechnungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) führt die Angaben auf, die Rechnungen zwingend enthalten müssen.

Rz. 4

Art. 248a dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können zu Kontrollzwecken und bei Rechnungen, die sich auf Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen in ihrem Gebiet beziehen oder die in ihrem Gebiet ansässige Steuerpflichtige erhalten haben, von bestimmten Steuerpflichtigen oder in bestimmten Fällen Übersetzungen in ihre Amtssprachen verlangen. Die Mitgliedstaaten dürfen allerdings nicht eine allgemeine Verpflichtung zur Übersetzung von Rechnungen auferlegen.”

Belgisches Recht

Rz. 5

In Art. 4 des Grondwet (Verfassung) in der koordinierten Fassung vom 17. Februar 1994 (Belgisch Staatsblad vom 17. Februar 1994, S. 4054) heißt es:

„Belgien umfasst vier Sprachgebiete: das deutsche Sprachgebiet, das französische Sprachgebiet, das niederländische Sprachgebiet und das zweisprachige Gebiet Brüssel-Hauptstadt.

Jede Gemeinde des Königreichs gehört einem dieser Sprachgebiete an.

…”

Rz. 6

Art. 129 § 1 Nr. 3 der Verfassung bestimmt:

„Die Parlamente der Französischen und der Flämischen Gemeinschaft regeln, jedes für seinen Bereich, durch Dekret und unter Ausschluss des föderalen Gesetzgebers den Gebrauch der Sprachen für:

3. die sozialen Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und ihrem Personal sowie die durch Gesetz und Verordnungen vorgeschriebenen Handlungen und Dokumente der Unternehmen.”

Rz. 7

Art. 52 § 1 Abs. 1 der Wetten op het gebruik van de talen in bestuurzaken (Gesetze über den Sprachengebrauch in Verwaltungsangelegenheiten), koordiniert durch den Königlichen Erlass vom 18. Juli 1966 (Belgisch Staatsblad vom 2. August 1966, S. 7798) (im Folgenden: Gesetz über den Sprachengebrauch), sieht vor:

„Für die durch das Gesetz und die Verordnungen vorgeschriebenen Urkunden und Papiere … bedienen sich private Industrie-, Handels- oder Finanzbetriebe der Sprache des Gebietes, in dem ihr Sitz liegt beziehungsweise in dem ihre verschiedenen Betriebssit...

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