Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine. Sperrfrist. Erteilung der Fahrerlaubnis durch einen Mitgliedstaat vor Beginn einer Sperrfrist im Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes. Gründe für die Ablehnung der Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins im Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes

 

Normenkette

Richtlinie 2006/126/EG

 

Beteiligte

Wittmann

Andreas Wittmann

 

Tenor

Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein ist dahin auszulegen, dass eine Maßnahme, mit der der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes einer Person, der dieser Person, die ein Kraftfahrzeug führt, die Fahrerlaubnis nicht entziehen kann, weil sie ihr bereits zuvor entzogen worden ist, anordnet, dass der genannten Person während eines bestimmten Zeitraums keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf, als Einschränkung, Aussetzung oder Entzug der Fahrerlaubnis im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist mit der Folge, dass sie der Anerkennung der Gültigkeit jedes von einem anderen Mitgliedstaat vor Ablauf dieses Zeitraums ausgestellten Führerscheins entgegensteht. Der Umstand, dass das Urteil, mit dem diese Maßnahme angeordnet worden ist, nach der Ausstellung des Führerscheins in dem zweiten Staat rechtskräftig geworden ist, ist insoweit ohne Bedeutung, wenn dieser Führerschein nach der Verkündung des Urteils ausgestellt worden ist und die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins vorlagen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Nürnberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2014, in dem Strafverfahren gegen

Andreas Wittmann

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Vajda sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und E. Juhász,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Wittmann, vertreten durch Rechtsanwalt W. Säftel,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403, S. 18).

Rz. 2

Es ergeht in einem Strafverfahren gegen Herrn Wittmann, in dem diesem vorgeworfen wird, am 16. Mai 2013 ein Kraftfahrzeug im deutschen Hoheitsgebiet geführt zu haben, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2 und 15 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„(2) Die Regelungen zum Führerschein sind wesentliche Bestandteile der gemeinsamen Verkehrspolitik, tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei und erleichtern die Freizügigkeit der Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der den Führerschein ausgestellt hat, niederlassen. Angesichts der Bedeutung der individuellen Verkehrsmittel fördert der Besitz eines vom Aufnahmemitgliedstaat anerkannten Führerscheins die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit der Personen. …

(15) Die Mitgliedstaaten sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.”

Rz. 4

Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt.

Rz. 5

Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie lautet:

„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen.

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen.”

Deutsches Recht

Rz. 6

Im deutschen Recht ist die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) in der Fassung vom 10. Januar 2013 (im Folgenden: FeV) einschlägig.

Rz. 7

Nach § 28 Abs. 1 FeV berechtigte eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europ...

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