Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsklauseln, die bei der Prüfung der Missbräuchlichkeit zu berücksichtigen sind. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel durch das nationale Gericht von Amts wegen. Verpflichtung des nationalen Gerichts, das von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel festgestellt hat, den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bevor es die Konsequenzen aus dieser Feststellung zieht

 

Normenkette

Richtlinie 93/13/EWG

 

Beteiligte

Banif Plus Bank

Banif Plus Bank Zrt

Csaba Csipai

Viktória Csipai

 

Tenor

1. Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, um die Konsequenzen aus dieser Feststellung ziehen zu können, nicht abwarten muss, dass der über seine Rechte informierte Verbraucher erklärt, dass er die Nichtigerklärung der genannten Klausel beantragt. Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verpflichtet jedoch im Allgemeinen das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, die Parteien darüber zu informieren und ihnen Gelegenheit zu geben, dies in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form kontradiktorisch zu erörtern.

2. Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das nationale Gericht, um die etwaige Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel, auf die der bei ihm gestellte Antrag gestützt ist, beurteilen zu können, alle anderen Klauseln des Vertrags berücksichtigen muss.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Bíróság (jetzt Fővárosi Törvényszék) (Ungarn) mit Entscheidung vom 16. Juni 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 16. September 2011, in dem Verfahren

Banif Plus Bank Zrt

gegen

Csaba Csipai,

Viktória Csipai

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E. Levits und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Banif Plus Bank Zrt, vertreten durch E. Héjja, ügyvéd,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch S. Martínez-Lage Sobredo als Bevollmächtigten,
  • der slowakischen Regierung, vertreten durch M. Kianička als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Simon und M. van Beek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29, im Folgenden: Richtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Banif Plus Bank Zrt (im Folgenden: Banif Plus Bank) und den Eheleuten Csipai wegen der Zahlung von aus einem Darlehensvertrag fälligen Beträgen im Fall der vorzeitigen Kündigung dieses Vertrags durch das Kreditinstitut aufgrund eines dem Darlehensnehmer zurechenbaren Verhaltens.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie definiert die missbräuchliche Klausel wie folgt:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.”

Rz. 4

Hinsichtlich der Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel heißt es in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie:

„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.”

Rz. 5

In Bezug auf die mit der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel verbundenen Wirkungen bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kan...

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