Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freier Dienstleistungsverkehr. Visumpflicht für die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats

 

Beteiligte

Soysal u.a

Mehmet Soysal

Ibrahim Savatli

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, ist dahin auszulegen, dass er es ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls verbietet, ein Visum für die Einreise türkischer Staatsangehöriger wie der Kläger des Ausgangsverfahrens in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verlangen, die dort Dienstleistungen für ein in der Türkei ansässiges Unternehmen erbringen wollen, wenn ein solches Visum zu jenem Zeitpunkt nicht verlangt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2006, in dem Verfahren

Mehmet Soysal,

Ibrahim Savatli

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

Beteiligte:

Bundesagentur für Arbeit,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, A. Borg Barthet und J.-J. Kasel (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Soysal und Herrn Savatli, vertreten durch Rechtsanwalt R. Gutmann,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch R. Holdgaard als Bevollmächtigten,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch G. Karipsiadis und T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,
  • der slowenischen Regierung, vertreten durch T. Mihelič als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Wilderspin und G. Braun als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Zusatzprotokoll).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines die Visumpflicht für türkische Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr betreffenden Rechtsstreits der türkischen Staatsangehörigen M. Soysal und I. Savatli gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Assoziation EWG-Türkei

Rz. 3

Gemäß seinem Art. 2 Abs. 1 ist Ziel des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei sowie von den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft unterzeichnet und durch den Beschluss des Rates 64/732/EWG vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen), eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, u. a. im Bereich der Arbeitskräfte durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 12 des Assoziierungsabkommens) und durch die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 13 des Abkommens) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 14 des Abkommens), um die Lebenshaltung des türkischen Volks zu verbessern und später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierter Erwägungsgrund und Art. 28 des Abkommens).

Rz. 4

Zu diesem Zweck umfasst das Assoziierungsabkommen eine Vorbereitungsphase, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Art. 3 des Abkommens), eine Übergangsphase, während deren die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken gewährleistet werden (Art. 4 des Abkommens), und eine Endphase, die auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien einschließt (Art. 5 des Abkommens).

Rz. 5

Art. 6 des Assoziierungsabkommens lautet:

„Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind.”

Rz. 6

Art. 8 des Assoziierungsabkommens, der in dessen Titel II („Durchführung der Übergangsphase”) enthalten ist, bestimmt...

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