Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziierung EWG-Türkei. Art. 59 des Zusatzprotokolls. Art. 6, 7 und 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats. Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich. Daraus abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Türkischer Staatsangehöriger, der älter als 21 Jahre alt ist und von seinen Eltern keinen Unterhalt mehr erhält. Strafrechtliche Verurteilungen. Voraussetzungen für den Verlust erworbener Rechte. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz, dass der Republik Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen

 

Beteiligte

Derin

Ismail Derin

Landkreis Darmstadt-Dieburg

 

Tenor

Ein türkischer Staatsangehöriger, der als Kind im Wege der Familienzusammenführung in einen Mitgliedstaat einreisen durfte und das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrat erlassen wurde, erworben hat, verliert das von diesem Recht auf freien Zugang abgeleitete Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat nur in zwei Fallgruppen, nämlich

  • in den Fällen des Art. 14 Abs. 1 dieses Beschlusses oder
  • bei Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe,

und zwar auch dann, wenn er älter als 21 Jahre ist, von seinen Eltern keinen Unterhalt mehr erhält, sondern im betreffenden Mitgliedstaat ein selbständiges Leben führt, und dem Arbeitsmarkt mehrere Jahre lang wegen der Verbüßung einer gegen ihn verhängten und nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von solcher Dauer nicht zur Verfügung gestanden hat. Eine solche Auslegung ist nicht mit den Anforderungen des Art. 59 des Zusatzprotokolls unvereinbar, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Darmstadt (Deutschland) mit Entscheidungen vom 17. August und 21. September 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 26. August und 29. September 2005, in dem Verfahren

Ismail Derin

gegen

Landkreis Darmstadt-Dieburg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter R. Schintgen (Berichterstatter), A. Tizzano, M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Nwaokolo als Bevollmächtigte im Beistand von T. Ward, Barrister,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und I. Kaufmann-Bühler als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Januar 2007

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 59 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (ABl. L 293, S. 1, im Folgenden: Zusatzprotokoll), sowie der Art. 6, 7 und 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Derin, einem türkischen Staatsangehörigen, und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg in einem Verfahren über die Ausweisung aus Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

Assoziation EWG-Türkei

3 Ziel des Assoziierungsabkommens ist nach seinem Art. 2 Abs. 1, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, auch im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern, u. a. durch die schrittweise H...

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