Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Einführung von Gebühren für eine Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat. Verletzung der in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats enthaltenen Stillhalteklausel

 

Beteiligte

Sahin T

Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie

T. Sahin

 

Tenor

Art. 13 des vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, erlassenen Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, ist in dem Sinn auszulegen, dass er ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Beschlusses für den betreffenden Mitgliedstaat der Einführung einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die die Erteilung oder die Verlängerung der Gültigkeit einer Aufenthaltserlaubnis von der Entrichtung von Gebühren abhängig macht, wenn die Höhe dieser Gebühren, die türkischen Staatsangehörigen auferlegt werden, im Vergleich zu den von Gemeinschaftsangehörigen verlangten unverhältnismäßig ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 11. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 2006, in dem Verfahren

Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie

gegen

T. Sahin

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, E. Levits und J.-J. Kasel (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Sahin, vertreten durch D. Schaap, advocaat,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, C. Wissels und M. de Mol als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch C. Schulze-Bahr, M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
  • der zyprischen Regierung, vertreten durch D. Lysandrou als Bevollmächtigten,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Ward, Barrister,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch S. Boelaert und M. van Beek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685, im Folgenden: Assoziierungsabkommen) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Sahin und dem Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie (Minister für Ausländerfragen und Integration, im Folgenden: Minister) darüber, dass türkische Staatsangehörige Gebühren entrichten müssen, damit ihre Anträge auf Aufenthaltserlaubnis oder auf Verlängerung dieser Erlaubnis behandelt werden.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Die Assoziation EWG-Türkei

– Das Assoziierungsabkommen

Rz. 3

Gemäß seinem Art. 2 Abs. 1 ist Ziel des Assoziierungsabkommens, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, u. a. im Bereich der Arbeitskräfte durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 12 des Assoziierungsabkommens) und durch die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 13 des Abkommens) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 14 des Abkommens), um die Lebenshaltung des türkischen Volks zu verbessern und später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierter Erwägungsgrund und Art. 28 des Abkommens).

Rz. 4

Zu diesem Zweck umfasst das Assoziierungsabkommen eine Vorbereitungsphase, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Art. 3 des Abkommens), eine Übergangsphase, während deren die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken gewährleistet werden (Art. 4 des Abkommens), und eine Endphase, die auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien einschlie...

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