Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Asylpolitik. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben. Verletzung der Pflicht im erstinstanzlichen Verfahren. Folgen

 

Normenkette

Richtlinie 2013/32/EU Art. 14, 34

 

Beteiligte

Addis

Milkiyas Addis

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

Die Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, es sei denn, diese Regelung ermöglicht es dem Antragsteller, im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 der Richtlinie geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien wahrenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände vorzutragen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2017, in dem Verfahren

Milkiyas Addis

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Addis, vertreten durch Rechtsanwältin K. Müller,
  • der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Henning und A. Horlamus als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch J. Möller, T. Henze und R. Kanitz, dann durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Van Lul, C. Pochet und F. Bernard als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Brabcová als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoët als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Tornyai und M. Tátrai als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Ladenburger und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. März 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) und von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, im Folgenden: Verfahrensrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Milkiyas Addis und der Bundesrepublik Deutschland über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem ihm die Gewährung des Asylrechts verweigert wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2005/85

Rz. 3

Die Richtlinie 2005/85 hatte nach ihrem Art. 1 den Zweck, Mindestnormen für die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft festzulegen.

Rz. 4

Art. 12 „Ladung zur persönlichen Anhörung”) der Richtlinie sah vor:

„(1) Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Asylbewerber Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag durch einen nach nationalem Recht zuständigen Bediensteten gegeben.

(2) Auf die persönliche Anhörung kann verzichtet werden, wenn

  1. die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine zuerkennende Entscheidung treffen kann oder
  2. die zuständige Behörde bereits ein Treffen mit dem Antragsteller hatte, um ihn bei der Ausfüllung des Antrags und der Vorlage der für den Antrag wesentlichen Informationen … zu unterstützen, oder
  3. die Asylbehörde aufgrund einer vollständigen Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Informationen der Auffassung ist...

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