Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Geschäftsverkehr zwischen privaten Unternehmen und öffentlichen Stellen. Nationale Regelung, die die sofortige Begleichung einer Hauptforderung von dem Verzicht auf Verzugszinsen und auf die Entschädigung für Beitreibungskosten abhängig macht

 

Normenkette

Richtlinie 2011/7/EU

 

Beteiligte

IOS Finance EFC

IOS Finance EFC SA

Servicio Murciano de Salud

 

Tenor

Die Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, insbesondere ihr Art. 7 Abs. 2 und 3, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es Gläubigern erlaubt, auf die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Verzugszinsen und auf Entschädigung für Beitreibungskosten im Gegenzug für die sofortige Zahlung der fälligen Hauptschuld zu verzichten, nicht entgegensteht, unter der Bedingung, dass dieser Verzicht freiwillig erklärt wurde, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n° 6 de Murcia (Verwaltungsgericht Nr. 6, Murcia, Spanien) mit Entscheidung vom 20. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2014, in dem Verfahren

IOS Finance EFC SA

gegen

Servicio Murciano de Salud

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet und E. Levits,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der IOS Finance EFC SA, vertreten durch J. Tornos Mas, abogado,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wilms, D. Loma-Osorio Lerena, E. Sanfrutos Cano, A. C. Becker und M. Šimerdová als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Mai 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IOS Finance EFC SA (im Folgenden: IOS Finance) und dem Servicio Murciano de Salud (Gesundheitsdienst der Autonomen Gemeinschaft Murcia, Spanien) wegen der Weigerung des Gesundheitsdienstes, IOS Finance zusätzlich zur Hauptforderung die von ihr beanspruchten Verzugszinsen und Beitreibungskosten wegen nicht rechtzeitig beglichener Rechnungen zu zahlen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 1, 12, 16 und 28 der Richtlinie 2011/7 lauten:

„(1) Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr [ABl. 2000, L 200, S. 35] muss in wesentlichen Punkten geändert werden. Aus Gründen der Klarheit und der Vereinfachung sollten die entsprechenden Bestimmungen neu gefasst werden.

(12) Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen und zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen, sowie auch Bestimmungen, wonach vermutet wird, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist.

(16) Durch diese Richtlinie sollte kein Gläubiger verpflichtet werden, Verzugszinsen zu fordern. …

(28) Der Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers sollte nach dieser Richtlinie verboten sein. Wenn sich demzufolge eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist, auf den für Verzugszinsen geltenden Zinssatz oder auf die Entschädigung für Beitreibungskosten nicht auf der Grundlage der dem Schuldner gewährten Bedingungen rechtfertigen lässt oder in erster Linie dem Zweck dient, dem Schuldner zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen, kann dies als ein Faktor gelten, der einen so...

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