Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Artikel 28 EG. Maßnahmen gleicher Wirkung. Widerruf der Zulassung eines pflanzenschützenden Referenzprodukts. Fehlen einer Übergangsfrist zugunsten der Parallelimporteure zum Abverkauf ihrer Lagerbestände

 

Beteiligte

Kommission / Deutschland

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen, dass sie bei Widerruf der Zulassung eines pflanzenschützenden Referenzprodukts den Parallelimporteuren keine angemessene Abverkaufsfrist für deren Lagerbestände eingeräumt hat.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 3. März 2004,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Schima als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beim Gerichtshof die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen hat, dass sie bei Widerruf der Zulassung eines pflanzenschützenden Referenzprodukts den Parallelimporteuren keine angemessene Abverkaufsfrist für deren Lagerbestände eingeräumt hat.

Nationales Recht

2 Gemäß § 11 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz, im Folgenden: PflSchG) dürfen Pflanzenschutzmittel in der Formulierung, in der die Abgabe an den Anwender vorgesehen ist, nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden, wenn sie von der Biologischen Bundesanstalt (im Folgenden: BBA) zugelassen sind.

3 Nach § 16a Absatz 1 Nr. 1 PflSchG können Zulassungen widerrufen werden, wenn der Inhaber der Zulassung es beantragt.

4 Der Widerruf der Zulassung eines Referenzprodukts hat zur Folge, dass die parallel importierten Produkte ihre Verkehrsfähigkeit verlieren.

Vorverfahren

5 Die Parallelimporteure führten jahrelang Pflanzenschutzmittel aus Frankreich nach Deutschland ein. Nach ihrer Herkunft und Zusammensetzung waren diese in Frankreich zugelassenen Produkte mit dem Referenzprodukt der deutschen Zulassungsinhaberin identisch. Mit Schreiben vom 6. November 2001 beantragte die Zulassungsinhaberin, die Zulassung der pflanzenschützenden Referenzprodukte in Deutschland ab dem 28. Februar 2002 zu widerrufen. Die fragliche Zulassung galt bis zum 31. Dezember 2004. Die Parallelimporteure stellten beim BBA einen Antrag auf Einräumung einer unter Berücksichtigung der verschiedenen Handelsstufen ausreichend bemessenen Abverkaufsfrist für ihre Lagerbestände. Am 19. Februar 2002 widerrief die BBA die Zulassung ohne Einräumung einer solchen Frist unter Berufung auf § 16a Absatz 1 Nr. 1 PflSchG.

6 Die Kommission war der Auffassung, der Widerruf der Zulassung des Referenzprodukts habe das sofortige Vermarktungsverbot des parallel importierten Produktes zur Folge, ohne dass der Parallelimporteur seine Lagervorräte aufbrauchen könne. Der Widerruf stelle somit eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar und verstoße gegen Artikel 28 EG.

7 Der Widerruf einer Zulassung, die eine Beschränkung des freien Warenverkehrs bewirke, könne auch nicht durch den Schutz marktstrategischer Überlegungen des Zulassungsinhabers des Referenzprodukts gerechtfertigt werden.

8 Schließlich könne der Gesundheitsschutz auch durch Maßnahmen sichergestellt werden, die den Handel weniger beschränkten.

9 Aus diesen Gründen richtete die Kommission am 19. Dezember 2002 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die deutsche Regierung, nachdem sie dieser in einem Mahnschreiben Gelegenheit zur Äußerung gegeben und ihre Antwort als unzureichend eingestuft hatte.

10 Die deutsche Regierung äußerte sich am 30. April 2003 zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme. In ihrer Antwort hielt sie an ihrer Ansicht fest, dass die Regelung des PflSchG als Maßnahme zum Zweck des Schutzes der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei.

11 Daraufhin hat die Kommission gemäß Artikel 226 EG Klage beim Gerichtshof erhoben.

12 Mit Schreiben vom 15. Dezember 2003 übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission einen Vorschlag zur Änderung des PflSchG. Dieser Vorschlag werde auch eine Regelung zum Umgang mit Parallelimporten von Pflanzenschutzmitt...

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