Entscheidungsstichwort (Thema)

Außervertragliche Haftung der Mitgliedstaaten. Schäden, die dem Einzelnen durch einem letztinstanzlichen nationalen Gericht zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind. Begrenzung der Haftung des Staates durch den nationalen Gesetzgeber auf Fälle von Vorsatz und grob fehlerhaftem Verhalten des Richters. Ausschluss jeglicher Haftung bei der Auslegung von Rechtsvorschriften und der Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Rahmen der Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit

 

Beteiligte

Traghetti del Mediterraneo

Traghetti del Mediterraneo SpA in Liquidation

Italienische Republik

 

Tenor

Das Gemeinschaftsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die allgemein die Haftung des Mitgliedstaats für Schäden ausschließen, die dem Einzelnen durch einen einem letztinstanzlichen Gericht zuzurechnenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, wenn sich dieser Verstoß aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch dieses Gericht ergibt.

Das Gemeinschaftsrecht steht ferner nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die diese Haftung auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzen, sofern diese Begrenzung dazu führt, dass die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats in weiteren Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein offenkundiger Verstoß gegen das anwendbare Recht im Sinne der Randnummern 53 bis 56 des Urteils vom 30. September 2003 in der Rechtssache C-224/01 (Köbler) begangen wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunale Genua (Italien) mit Entscheidung vom 20. März 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2003, in dem Verfahren

Traghetti del Mediterraneo SpA in Liquidation

gegen

Italienische Republik

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), K. Schiemann und J. Makarczyk, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts, P. Kūris, E. Juhász und U. Lõhmus,

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Traghetti del Mediterraneo SpA in Liquidation, vertreten durch V. Roppo, P. Canepa und S. Sardano, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Aiello und G. De Bellis, avvocati dello Stato,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch E. Samoni, Z. Chatzipavlou, M. Apessos, K. Boskovits und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,
  • Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von P. Sreenan, SC, und P. McGarry, BL,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch S. Terstal als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von D. Anderson, QC, und M. Hoskins, Barrister,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Maidani und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Oktober 2005

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft den Grundsatz der außervertraglichen Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, und die Voraussetzungen für die Auslösung dieser Haftung, wenn dieser Verstoß einem nationalen Gericht zuzurechnen ist.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das die Traghetti del Mediterraneo SpA, ein derzeit in Liquidation befindliches Seeschifffahrtsunternehmen (im Folgenden: TDM), gegen die Italienische Republik eingeleitet hat, um den Schaden ersetzt zu bekommen, den sie dadurch erlitten habe, dass die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) die Gemeinschaftsvorschriften über Wettbewerb und staatliche Beihilfen falsch ausgelegt und insbesondere ihren Antrag abgelehnt habe, dem Gerichtshof die einschlägigen Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzulegen.

Nationale Rechtsvorschriften

3 Nach Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 117 vom 13. April 1988 über den Ersatz der in Ausübung der Rechtsprechung verursachten Schäden und die Haftung der Richter (legge n° 117 [sul] risarcimento dei danni cagionati nell'esercizio delle funzioni giudiziarie e responsabilità civile dei magistrati) (GURI Nr. 88 vom 15. April 1988, S. 3, im Folgenden: Gesetz Nr. 117/88) gilt dieses Gesetz „für alle Mitglieder der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit, der Militärgerichtsbarkeit und der Sondergerichte, die eine Rechtsprechungstätigkeit ausüben, unabhängig von der Art der Aufgaben, sowie für die übrigen Personen, die an der Ausübung der Rechtsprechungsaufgaben beteiligt sind”.

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