Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union. Einziehung. Sicherstellung. Verfahrensgarantien. Sicherstellung und Einziehung eines Gegenstands, der einer nicht am Strafverfahren beteiligten Person gehört. Nationale Rechtsvorschriften, die für Dritte im gerichtlichen Verfahren keinen Rechtsbehelf vorsehen und die etwaige Herausgabe dieses Vermögensgegenstands vor Abschluss des Strafverfahrens nicht zulassen

 

Normenkette

Richtlinie 2014/42/EU Art. 4, 7-8

 

Beteiligte

RR und JG

RR

JG

 

Tenor

1. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Eigentümer von Vermögensgegenständen als gutgläubiger Dritter, wenn diese Gegenstände als mutmaßliches Tatwerkzeug oder als mutmaßlicher Ertrag aus der Straftat sichergestellt wurden, während des gerichtlichen Abschnitts des Strafverfahrens kein Recht hat, beim zuständigen Gericht die Herausgabe dieser Gegenstände zu beantragen.

2. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Einziehung eines Vermögensgegenstands, der einem gutgläubigen Dritten gehört und als Tatwerkzeug verwendet wird, auch dann ausschließt, wenn dieser Gegenstand der beschuldigten Person von diesem Dritten dauerhaft zur Verfügung gestellt wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 8. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren

RR,

JG,

Beteiligte:

Spetsializirana prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. 2014, L 127, S. 39) in Verbindung mit deren Art. 2 Abs. 3, von Art. 8 dieser Richtlinie sowie von Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, in dem RR und JG als an diesem Verfahren nicht beteiligte Dritte beim vorlegenden Gericht die Herausgabe ihrer in der Vorphase dieses Verfahrens beschlagnahmten Vermögensgegenstände beantragt haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 15, 31, 33, 34 und 38 der Richtlinie 2014/42 heißt es:

„(15) Eine rechtskräftige Verurteilung aufgrund einer Straftat vorausgesetzt, sollte es möglich sein, Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Tatwerkzeugen oder Erträgen entspricht, einzuziehen. Eine derartige rechtskräftige Verurteilung kann auch im Wege von Verfahren in Abwesenheit erfolgen. Ist eine Einziehung auf der Grundlage einer rechtskräftigen Verurteilung nicht möglich, so sollte es unter bestimmten Umständen dennoch möglich sein, Tatwerkzeuge und Erträge zumindest bei Erkrankung oder Flucht der verdächtigten oder beschuldigten Person einzuziehen. Sofern Mitgliedstaaten Verfahren in Abwesenheit für derartige Fälle der Erkrankung oder Flucht vorsehen, sollte dies ausreichend sein, dieser Verpflichtung nachzukommen. Bei Flucht der … verdächtigten oder beschuldigten Person sollten die Mitgliedstaaten alle angemessenen Maßnahmen ergreifen; sie können zudem verlangen, dass die betreffende Person zu dem Einziehungsverfahren geladen oder darüber unterrichtet wird.

(31) Angesichts der von einer Sicherstellungsentscheidung bewirkten Einschränkung des Eigentumsrechts sollten solche einstweiligen Maßnahmen nicht länger aufrechterhalten werden dürfen als nötig ist, um die Verfügbarkeit des Vermögensgegenstands im Hinblick auf seine etwaige spätere Einziehung zu gewährleisten. Um zu gewährleisten, dass der Zweck der Sicherstellung, nämlich den Verlust des Vermögensgegenstands zu verhindern, nach wie vor gegeben ist, kann eine Überprüfung durch ein Gericht erforderlich sein.

(33) Diese Richtlinie wirkt sich nicht nur erheblich auf die Rechte verdächtiger oder beschuldigter Personen aus, sondern auch...

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