Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Europäischer Haftbefehl. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Begriff ‚Haftbefehl’. Autonomer Begriff des Unionsrechts. Nationaler Haftbefehl, der zur Strafverfolgung von einer Polizeibehörde ausgestellt und von der Staatsanwaltschaft bestätigt wurde

 

Beteiligte

Özçelik

Halil Ibrahim Özçelik

 

Tenor

Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestätigung eines zuvor von einer Polizeibehörde zur Strafverfolgung erlassenen nationalen Haftbefehls durch die Staatsanwaltschaft eine „justizielle Entscheidung” im Sinne dieser Vorschrift darstellt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 16. August 2016, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in einem Verfahren betreffend die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen

Halil Ibrahim Özçelik

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter E. Juhász und C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, H. Stergiou und B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann, J. Möller und R. Riegel als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. M. Tátrai, G. Koós und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Oktober 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen der in den Niederlanden erfolgenden Vollstreckung eines vom Veszprémi Járásbíróság (Distriktgericht Veszprém, Ungarn) gegen Herrn Halil Ibrahim Özçelik erlassenen Europäischen Haftbefehls.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 5, 6, 8 und 10 des Rahmenbeschlusses lauten:

„(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.

(6) Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als ‚Eckstein’ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.

(8) Entscheidungen zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls müssen ausreichender Kontrolle unterliegen; dies bedeutet, dass eine Justizbehörde des Mitgliedstaats, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen muss.

(10) Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7 Absatz 1 des genannten Vertrag...

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