Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Öffentliche Aufträge. Grundsatz der Gleichbehandlung. Nicht offenes Verfahren. Vergabebekanntmachung. Antrag auf Aufnahme der letzten veröffentlichten Bilanz in die Bewerbungsunterlagen. Fehlen dieser Bilanz in den Unterlagen einiger Bewerber. Befugnis des öffentlichen Auftraggebers, diese Bewerber aufzufordern, ihm die betreffende Bilanz nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Bewerbungsunterlagen zu übermitteln

 

Normenkette

Richtlinie 2004/18/EG

 

Beteiligte

Manova

Ministeriet for Forskning, Innovation og Videregående Uddannelser

Manova A/S

 

Tenor

Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist dahin auszulegen, dass er nicht der Aufforderung eines öffentlichen Auftraggebers an einen Bewerber entgegensteht, nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Bewerbungen für ein Vergabeverfahren die Situation dieses Bewerbers beschreibende Unterlagen, wie die veröffentlichte Bilanz, zu übermitteln, wenn objektiv nachprüfbar ist, dass sie vor Ablauf der Bewerbungsfrist existierten, soweit in den Verdingungsunterlagen nicht ausdrücklich vorgeschrieben war, dass sie übermittelt werden müssen und andernfalls die Bewerbung ausgeschlossen wird. Eine solche Aufforderung darf nicht den oder die Bewerber, an den bzw. die sie gerichtet war, ungerechtfertigt begünstigen oder benachteiligen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 4. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2012, in dem Verfahren

Ministeriet for Forskning, Innovation og Videregående Uddannelser

gegen

Manova A/S

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zehnten Kammer E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Rosas und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Manova A/S, vertreten durch J. Munk Plum, advokat,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, advokat,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch U. Nielsen und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministeriet for Forskning, Innovation og Videregående Uddannelser (Ministerium für Forschung, Innovation und Hochschulen) und Manova A/S (im Folgenden: Manova) über die Rechtmäßigkeit eines vom Undervisningsministeriet (Unterrichtsministerium, im Folgenden: Ministerium) vorgesehenen Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags.

Rechtlicher Rahmen

Das Unionsrecht

Rz. 3

Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) heißt es:

„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im [EG-]Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. …”

Rz. 4

Art. 2 dieser Richtlinie, der die Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen betrifft, bestimmt:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.”

Rz. 5

Nach Art. 21 der genannten Richtlinie unterliegen Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B nur Art. 23 über technische Spezifikationen und Art. 35 Abs. 4 über die Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens. Die Kategorie 24 dieses Anhangs nennt das Unterrichtswesen und die Berufsausbildung.

Rz. 6

Gemäß Art. 51 der Richtlinie 2004/18 kann „der öffentliche Auftraggeber … Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die in Anwendung der Artikel 45 bis 50 vorgelegten Bescheinigungen und Dokumente zu vervollständigen oder zu erläutern”.

Das dänische Recht

Rz. 7

Die Richtlinie 2004/18 wurde mit der Rech...

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