Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer von einem Betriebsrentensystem. Betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit. Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem. Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Verhältnis zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht

 

Normenkette

EGV Art. 136, 143, 119

 

Beteiligte

Deutsche Telekom

Deutsche Telekom AG

Lilli Schröder

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg

 

Tenor

1.

Der Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer von einem Betriebsrentensystem wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen stellt eine nach Artikel 119 des Vertrages (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) verbotene Diskriminierung dar, wenn diese Maßnahme einen wesentlich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Arbeitnehmer trifft und nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

2.

In einem Fall, in dem der Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer von einem Betriebsrentensystem eine nach Artikel 119 des Vertrages verbotene mittelbare Diskriminierung darstellt, ist die Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung dieses Artikels zu berufen, zeitlich in dem Sinne beschränkt, daß die Beschäftigungszeiten dieser Arbeitnehmer für ihren rückwirkenden Anschluß an ein derartiges System und die Berechnung der ihnen zustehenden Leistungen erst ab dem 8. April 1976, dem Tag der Verkündung des Urteils in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II), berücksichtigt werden dürfen; dies gilt nicht für Arbeitnehmer oder deren anspruchsberechtigte Angehörige, die vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben.

3.

Die sich aus dem Urteil Defrenne II ergebende zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages zu berufen, steht nationalen Vorschriften, in denen einGleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, nicht entgegen.

4.

Das Gemeinschaftsrecht und insbesondere das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und Artikel 119 des Vertrages stehen Vorschriften eines Mitgliedstaats, in denen ein Gleichheitsgrundsatz aufgestellt wird, aufgrund dessen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluß an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System haben, ungeachtet der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern der verschiedenen Mitgliedstaaten zum Nachteil der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassenen Arbeitgeber nicht entgegen.

 

Gründe

1.

Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 25. Oktober 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Februar 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) sechs Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) sowie des dem EG-Vertrag beigefügten Protokolls zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Protokoll) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.

Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Lilli Schröder (im folgenden: Klägerin) und der Deutsche Bundespost Telekom, nunmehr Deutsche Telekom AG (im folgenden: Beklagte) über die Voraussetzungen für den Anschluß an ein betriebliches Zusatzversorgungssystem und die Gewährung einer entsprechenden Rente.

Das nationale Recht

3.

Artikel 3 Absätze 1 bis 3 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:

(1)

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2)

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3)

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

4.

Durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. August 1980 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wurde in § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgender Absatz 3 angefügt:

Bei einem Arbeitsverhältnis darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers eine geringere Vergütung vereinbart werden als bei einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts. Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß wegen des Geschlechts des Arbeitnehmers besondere Schutzvorschriften gelten …

5.

1985 wurde das Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförde...

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