Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Erbsachen. Begriff ‚Erbvertrag’. Anwendungsbereich. Vertrag zur Eigentumsübertragung von Todes wegen. Rechtswahl. Übergangsbestimmungen

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, Art. 83 Abs. 2

 

Beteiligte

UM

UM

 

Tenor

1. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag, in dem eine Person vorsieht, dass bei ihrem Tod das Eigentum an einer ihr gehörenden Liegenschaft auf andere Vertragsparteien übergeht, einen Erbvertrag im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

2. Art. 83 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 ist dahin auszulegen, dass er nicht auf die Prüfung der Wirksamkeit einer Rechtswahl anzuwenden ist, die vor dem 17. August 2015 lediglich für einen Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung, der einen bestimmten Vermögenswert des Erblassers und nicht dessen gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen betrifft, getroffen wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 2020, in dem Verfahren

UM,

Beteiligte:

HW als Nachlassverwalter des ZL,

Marktgemeinde Kötschach-Mauthen,

Finanzamt Spittal Villach,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von UM, vertreten durch Rechtsanwalt A. Wittwer,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Juli 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b sowie Art. 83 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107, und Berichtigungen ABl. 2012, L 344, S. 3, ABl. 2013, L 41, S. 16, ABl. 2013, L 60, S. 140, und ABl. 2014, L 363, S. 186; im Folgenden: Erbrechtsverordnung).

Rz. 2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines von dem deutschen Staatsangehörigen UM angestrengten Verfahrens wegen eines Antrags auf Eintragung des Eigentumsrechts an einer in Österreich gelegenen Liegenschaft in das Grundbuch.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 9, 11, 14 und 49 der Erbrechtsverordnung heißt es:

„(9) Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen erstrecken, und zwar auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge.

(11) Diese Verordnung sollte nicht für Bereiche des Zivilrechts gelten, die nicht die Rechtsnachfolge von Todes wegen betreffen. Aus Gründen der Klarheit sollte eine Reihe von Fragen, die als mit Erbsachen zusammenhängend betrachtet werden könnten, ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden.

(14) Rechte und Vermögenswerte, die auf andere Weise als durch Rechtsnachfolge von Todes wegen entstehen oder übertragen werden, wie zum Beispiel durch unentgeltliche Zuwendungen, sollten ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. …

(49) Ein Erbvertrag ist eine Art der Verfügung von Todes wegen, dessen Zulässigkeit und Anerkennung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ist. Um die Anerkennung von auf der Grundlage eines Erbvertrags erworbenen Nachlassansprüchen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern, sollte diese Verordnung festlegen, welches Recht die Zulässigkeit solcher Verträge, ihre materielle Wirksamkeit und ihre Bindungswirkungen, einschließlich der Voraussetzungen für ihre Auflösung, regeln soll.”

Rz. 4

Art. 1 („Anwendungsbereich”) der Erbrechtsverordnung bestimmt:

„(1) Diese Verordnung ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden. …

(2) Vom Anwendungsbereich dieser ...

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