Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Erbsachen. Unzuständigerklärung. Gerichtliche Zuständigkeit. Kontrolle durch das zweitbefasste Gericht. Rechtswahl. Gegenseitige Anerkennung. Übergangsbestimmungen

 

Normenkette

Verordnung Nr. 650/2012 Art. 6 Buchst. a, Art. 7 Buchst. a, Art. 22, 39, 83 Abs. 4

 

Beteiligte

RK

RK

CR

 

Tenor

1. Art. 7 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass es für eine Unzuständigerklärung im Sinne von Art. 6 Buchst. a dieser Verordnung zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht der Erblasser gewählt hat, nicht erforderlich ist, dass sich das zuvor angerufene Gericht ausdrücklich für unzuständig erklärt hat. Diese Absicht muss indessen eindeutig aus der Entscheidung, die es in dieser Hinsicht erlassen hat, hervorgehen.

2. Art. 6 Buchst. a, Art. 7 Buchst. a und Art. 39 der Verordnung Nr. 650/2012 sind dahin auszulegen, dass das Gericht des Mitgliedstaats, das infolge einer Unzuständigerklärung angerufen wird, nicht befugt ist, zu prüfen, ob die in diesen Bestimmungen aufgestellten Voraussetzungen für die Unzuständigerklärung des zuvor angerufenen Gerichts erfüllt waren.

3. Art. 6 Buchst. a und Art. 7 Buchst. a der Verordnung Nr. 650/2012 sind dahin auszulegen, dass die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften auch dann anwendbar sind, wenn der Erblasser in seinem vor dem 17. August 2015 errichteten Testament nicht das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht gewählt hat und sich die Bestimmung dieses Rechts nur aus Art. 83 Abs. 4 dieser Verordnung ergibt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. August 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. September 2020, in dem Verfahren

RK

gegen

CR

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Szpunar

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von CR, vertreten durch Rechtsanwältin I. Sommer,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri und E. Manzo als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juli 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Buchst. a, Art. 7 Buchst. a, Art. 22 und Art. 83 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107, und Berichtigungen ABl. 2012, L 344, S. 3, ABl. 2013, L 41, S. 16, ABl. 2013, L 60, S. 140, und ABl. 2014, L 363, S. 186) (im Folgenden: Erbrechtsverordnung).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das CR eingeleitet hat, um nach dem Tod ihres Ehemanns einen Erbschein nach nationalem Recht und ein Europäisches Nachlasszeugnis zu erhalten.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 27 und 59 der Erbrechtsverordnung heißt es:

„(27) Die Vorschriften dieser Verordnung sind so angelegt, dass sichergestellt wird, dass die mit der Erbsache befasste Behörde in den meisten Situationen ihr eigenes Recht anwendet. Diese Verordnung sieht daher eine Reihe von Mechanismen vor, die dann greifen, wenn der Erblasser für die Regelung seines Nachlasses das Recht eines Mitgliedstaats gewählt hat, dessen Staatsangehöriger er war.

(59) Diese Verordnung sollte in Anbetracht ihrer allgemeinen Zielsetzung, nämlich der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen in Erbsachen … Vorschriften für die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen … vorsehen.”

Rz. 4

Art. 3 („Begriffsbestimmungen”) Abs. 1 der Erbrechtsverordnung bestimmt:

„(1) Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

g) ‚Entscheidung’ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer Erbsache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten;

…”

Rz. 5

Art. 4 („Allgemeine Zuständigkeit”) dieser Verordnung sieht vor:

„Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgl...

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