Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich. Zivil- und Handelssachen. Zwangsvollstreckungsverfahren zur Beitreibung einer nicht beglichenen Gebühr für die Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes. Einbeziehung. Begriff ‚Gericht’. Notar, der auf der Grundlage einer ‚glaubwürdigen Urkunde’ einen Vollstreckungsbefehl ausgestellt hat

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012

 

Beteiligte

Pula Parking

Pula Parking d.o.o

Sven Klaus Tederahn

 

Tenor

1. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Zwangsvollstreckungsverfahren, das von einer im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehenden Gesellschaft zur Beitreibung einer nicht beglichenen und keinen Strafcharakter aufweisenden, sondern lediglich das Entgelt für eine erbrachte Leistung darstellenden Gebühr für die Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes, mit dessen Betrieb diese Gesellschaft von der Gebietskörperschaft betraut wurde, gegen eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet wird, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt.

2. Die Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass in Kroatien Notare, die im Rahmen der ihnen durch die nationalen Rechtsvorschriften in Zwangsvollstreckungsverfahren übertragenen Befugnisse auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde” tätig werden, nicht unter den Begriff „Gericht” im Sinne dieser Verordnung fallen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Općinski sud u Puli-Pola (Stadtgericht Pula, Kroatien) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Oktober 2015, in dem Verfahren

Pula Parking d.o.o.

gegen

Sven Klaus Tederahn

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Pula Parking d.o.o., vertreten durch M. Kuzmanović und S. L. Pacheco-Vinković, odvjetnici,
  • von Herrn Tederahn, vertreten durch E. Zadravec, odvjetnik,
  • der kroatischen Regierung, vertreten durch A. Metelko-Zgombić als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
  • der schweizerischen Regierung, vertreten durch M. Schöll als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, S. Ječmenica und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Oktober 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens zwischen der Pula Parking d.o.o. und Herrn Sven Klaus Tederahn wegen eines Antrags auf Beitreibung einer nicht beglichenen Gebühr für die Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Verordnung Nr. 1215/2012 hat ihre Rechtsgrundlage in Art. 67 Abs. 4 und in Art. 81 Abs. 2 Buchst. a, c und e AEUV.

Rz. 4

In den Erwägungsgründen 3, 4, 10, 26 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(3) Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln, indem unter anderem der Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen, erleichtert wird. …

(4) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind.

(10) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken …

(26) Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union rechtfertigt den Grundsatz, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in all...

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