Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Internationale Kindesentführung. Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980. Rückgabeantrag. Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts eines Säuglings. Kind, das im Einklang mit dem Willen seiner Eltern in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres gewöhnlichen Aufenthalts geboren wurde. Ständiger Aufenthalt des Kindes im Mitgliedstaat seiner Geburt während seiner ersten Lebensmonate. Entscheidung der Mutter, nicht in den Mitgliedstaat zurückzukehren, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt des Ehepaars befand

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 11

 

Beteiligte

OL

OL

PQ

 

Tenor

Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Kind im Einklang mit dem gemeinsamen Willen seiner Eltern in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Eltern vor seiner Geburt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, geboren wurde und sich dort mehrere Monate lang ununterbrochen mit seiner Mutter aufgehalten hat, die ursprüngliche Intention der Eltern, dass die Mutter mit dem Kind in den früheren Aufenthaltsstaat der Eltern zurückkehren sollte, nicht den Schluss zulässt, dass das Kind dort seinen „gewöhnlichen Aufenthalt” im Sinne der Verordnung hat.

Infolgedessen kann in einer solchen Situation die Weigerung der Mutter, mit dem Kind in diesen Mitgliedstaat zurückzukehren, nicht als „widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten” des Kindes im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung angesehen werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Monomeles Protodikeio Athinon (Regionalgericht Athen, Griechenland, in Einzelrichterbesetzung) mit Entscheidung vom 28. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2017, in dem Verfahren

OL

gegen

PQ

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: L. Hewlett,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 28. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2017, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Fünften Kammer vom 16. März 2017, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von OL, vertreten durch C. Athanasopoulos und A. Alexopoulou, dikigoroi,
  • von PQ, vertreten durch S. Sfakianaki, dikigoros,
  • der hellenischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou, G. Papadaki und A. Magrippi als Bevollmächtigte,
  • [berichtigt durch Beschluss vom 14. September 2017] der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon als Bevollmächtigten im Beistand von E. Devereux, QC,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis, M. Wilderspin und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Mai 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OL und PQ wegen eines von OL gestellten Antrags auf Rückgabe ihres Kindes, das sich in Griechenland befindet, dem Mitgliedstaat, in dem es geboren wurde und sich mit seiner Mutter aufhält, nach Italien, wo sich vor der Geburt des Kindes der gewöhnliche Aufenthalt des Ehepaars befand.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Das am 25. Oktober 1980 in Den Haag geschlossene Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980) soll, wie aus seiner Präambel hervorgeht, u. a. das Kind vor den Nachteilen eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens international schützen und Verfahren einführen, um seine sofortige Rückgabe in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen. Es wurde von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert.

Rz. 4

Art. 1 des Haager Übereinkommens von 1980 lautet:

„Ziel dieses Übereinkommens ist es,

  1. die sofortige Rückgabe wid...

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