Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln. Zeitliche Anwendbarkeit. Darlehensvertrag, der vor dem Tag des Beitritts eines Mitgliedstaats zur Europäischen Union geschlossen, aber nach diesem Zeitpunkt geändert wurde. Rückgewähr der vom Gewerbetreibenden zu Unrecht erlangten Vorteile. Nationale Rechtsvorschriften, die die Ersetzung missbräuchlicher Klauseln und die Rückerstattung rechtsgrundlos erlangter Beträge vorsehen. Sachlicher Anwendungsbereich. Ausschluss von Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 6, 10 Abs. 1
Beteiligte
Zagrebačka banka |
A.H |
Zagrebačka banka d.d |
Tenor
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln, die auf nationalen Rechtsvorschriften beruhen, wonach der Gewerbetreibende gezwungen war, dem Verbraucher eine Änderung des zwischen ihnen geschlossenen ursprünglichen Vertrags im Wege einer Vereinbarung anzubieten, deren Inhalt durch diese Vorschriften festgelegt wird, und der Verbraucher die Wahl hatte, einer solchen Änderung zuzustimmen, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Općinski građanski sud u Zagrebu (Gemeindegericht für Zivilsachen Zagreb, Kroatien) mit Entscheidung vom 15. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Oktober 2020, in dem Verfahren
A.H.
gegen
Zagrebačka banka d.d.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter), M. Safjan, N. Piçarra und M. Gavalec,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von A.H., vertreten durch P. Đurić und S. Kalebota, Odvjetnici,
- der Zagrebačka banka d.d., vertreten durch B. Porobija, M. Kiš Kapetanović und S. Porobija, Odvjetnici,
- der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Mataija und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Februar 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sowie der Art. 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A.H. und der Zagrebačka banka d.d. wegen der Rückerstattung von Beträgen, die Letztere aufgrund missbräuchlicher Klauseln, die ursprünglich in dem von diesen Parteien geschlossenen Darlehensvertrag enthalten waren und später von den Parteien durch eine Zusatzvereinbarung zur Vornahme der in einem kroatischen Gesetz vorgesehenen Änderungen ersetzt wurden, rechtsgrundlos erlangt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Beitrittsakte von 2012
Rz. 3
Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2012, L 112, S. 21) bestimmt in seinem ersten Abschnitt:
„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für Kroatien verbindlich und gelten in Kroatien nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.”
Die Richtlinie 93/13
Rz. 4
Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet wie folgt:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften’ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.”
Rz. 5
Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.”
Rz. 6
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, ...
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