Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Direktversicherung (Lebensversicherung). Rücktrittsrecht und -frist. Fehlerhafte Information über die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts. Formvoraussetzungen für die Rücktrittserklärung. Ablauf des Rücktrittsrechts. Maßgeblichkeit der Verbrauchereigenschaft des Versicherungsnehmers

 

Normenkette

Richtlinie 2002/83/EG Art. 35-36

 

Beteiligte

kunsthaus muerz

kunsthaus muerz gmbh

Zürich Versicherungs AG

 

Tenor

Die Art. 35 und 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen sind dahin auszulegen, dass sie auch für Versicherungsnehmer gelten, die keine Verbraucher sind, und einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der die Frist für den Rücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu laufen beginnt, selbst wenn in den Informationen über die Modalitäten der Ausübung dieses Rücktrittsrechts, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitgeteilt hat, eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht erforderlich ist, solange dem Versicherungsnehmer durch diese Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Das vorlegende Gericht hat im Wege einer Gesamtwürdigung, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist, einschließlich einer etwaigen Verbrauchereigenschaft des Versicherungsnehmers, zu prüfen, ob dem Versicherungsnehmer diese Möglichkeit durch den in den ihm mitgeteilten Informationen enthaltenen Fehler genommen wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2019, in dem Verfahren

kunsthaus muerz gmbh

gegen

Zürich Versicherungs AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský und F. Biltgen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der kunsthaus muerz gmbh, vertreten durch Rechtsanwalt D. Koch,
  • der Zürich Versicherungs AG, vertreten durch Rechtsanwalt P. Konwitschka,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 35 und 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. 2002, L 345, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der kunsthaus muerz gmbh und der Zürich Versicherungs AG (im Folgenden: Zürich) über die Tragweite des Rücktrittsrechts in Lebensversicherungsverträgen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 2, 5, 45 und 52 der Richtlinie 2002/83, ersetzt durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335, S. 1) lauteten:

„(2) Zur Erleichterung der Aufnahme und der Ausübung der Tätigkeiten der Lebensversicherung sind gewisse Unterschiede zwischen dem Aufsichtsrecht der verschiedenen Mitgliedstaaten zu beseitigen, wobei ein angemessener Schutz der Versicherten und der Begünstigten in allen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben muss. Zu diesem Zweck sind insbesondere die Vorschriften über die an Lebensversicherungsunternehmen gestellten finanziellen Anforderungen zu koordinieren.

(5) Die vorliegende Richtlinie stellt folglich einen bedeutenden Abschnitt bei der Verschmelzung der einzelstaatlichen Märkte zu einem einheitlichen Binnenmarkt dar; dieser Abschnitt muss durch weitere Gemeinschaftsabschnitte ergänzt werden und soll es allen Versicherungsnehmern ermöglichen, jeden Versicherer mit Sitz in der Gemeinschaft zu wählen, der in ihr seine Geschäftstätigkeit im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit ausübt, wobei ihnen gleichzeitig ein angemessener Schutz zu gewährleisten ist.

(45) Bei Lebensversicherungsverträgen sollte dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden, innerhalb von 14 bis 30 Tagen von dem Vertrag zurückzutreten.

(52) Im Rahmen eines Versicherungsbinnenmarkts wird dem Verbraucher eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um ...

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