Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 3 Absätze 2 und 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EG. Fraglich war, ob die EU-Kommission als unterlegene Prozesspartei eines nationalen Gerichtsverfahrens in Belgien zur Zahlung einer Urteilsgebühr verpflichtet werden konnte, oder ob sie von der Gebühr befreit werden konnte, weil von einer indirekten Steuer i.S.d. Privilegienprotokolls auszugehen war.

Nach belgischem Recht ist eine Prozesspartei zur Zahlung einer Gebühr von 3 % auf den gerichtlich festgestellten Zahlungs- oder Liquidationsbetrag für Urteile verpflichtet, in denen eine Verurteilung zur Zahlung oder Liquidation von Geldbeträgen und Wertpapieren ausgesprochen oder festgestellt wird. Die Gebühren und ggf. Geldbußen sind innerhalb eines Monats ab dem Tag, an dem die Zahlungsmitteilung vom Urkundsbeamten mit Einscheiben zur Post gegeben worden ist, zu zahlen. Die EU-Kommission war ausgehend von einem Prozess, in dem sie unterlegen war, zur Zahlung einer solchen Urteilsgebühr aufgefordert worden. Die Kommission weigerte sich mit dem Argument gegen die Zahlung, die Urteilsgebühr stelle eine indirekte Steuer im Sinne des Art. 3 Abs. 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EG dar. Die Urteilsgebühr sei stets im Preis von Gütern und Dienstleistungen enthalten, die die Gemeinschaft für ihren Dienstbedarf erwerben könne und werde von der in Art. 3 Abs. 2 des Protokolls enthaltenen Befreiung erfasst.

 

Entscheidung

Das Gericht fragte den EuGH, ob die Gebühr unter Art. 3 Abs. 2 des Privilegienprotokolls fällt bzw. ob die Gebühr die Vergütung für die Leistung eines gemeinnützigen Versorgungsbetriebs im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Privilegienprotokolls darstellt.

Nach Art. 3 Abs. 1 des EG-Privilegienprotokolls sind die Gemeinschaften, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögensgegenstände von jeder direkten Steuer befreit. Nach Abs. 2 der Bestimmung treffen die Regierungen der Mitgliedstaaten in allen Fällen, in denen es ihnen möglich ist, geeignete Maßnahmen für den Erlass oder die Erstattung des Betrages der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben, die in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffen sind, wenn die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf größere Einkäufe tätigen, bei denen derartige Steuern und Abgaben im Preis enthalten sind. Die Durchführung dieser Maßnahme darf jedoch den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaften nicht verfälschen. Nach Abs. 3 der Bestimmung wird von den Abgaben, die lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe darstellen, keine Befreiung gewährt.

Die durch das Privilegienprotokoll eingeräumten Vorrechte und Befreiungen sollen der EG die Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben erleichtern. Durch das Privilegienprotokoll soll ferner sichergestellt werden, dass der Sitzstaat keine ungerechten Vorteile daraus erhält, dass ein Organ der EG seinen Sitz in dem betreffenden Staat hat. Unter dieser Voraussetzung wäre die EU-Kommission womöglich grundsätzlich von der Urteilsgebühr zu entlasten gewesen.

Der EuGH hat dies jedoch verneint. Er weist darauf hin, dass - im Gegensatz zu der in Artikel 3 Abs. 1 des Protokolls vorbehaltlos und allgemein vorgesehenen Befreiung der Gemeinschaften und ihrer Guthaben, Einkünfte und anderen Vermögensgegenstände von jeder direkten Steuer - die in Absatz 2 der Vorschrift vorgesehene steuerliche Immunität nicht schrankenlos ist. Absatz 2 schreibe unter bestimmten, dort genau aufgeführten Voraussetzungen den Erlass oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben auf Güter vor, die die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf kaufen. Die wichtigste der in Artikel 3 Abs. 2 des Protokolls aufgeführten Voraussetzungen, die in dieser Vorschrift zweimal hervorgehoben wird, sei die, dass die indirekten Steuern und Abgaben im Preis der Güter oder Dienstleistungen, die den Gegenstand der von den Gemeinschaften geschlossenen Verträge bilden, enthalten sein müssen. Unter dieser Voraussetzung hat der EuGH einen Anspruch der EG auf Erstattung der Gerichtsgebühr verneint.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 26.10.2006, C-199/05

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