Eine Verwirkung kann auch aus einem Verhalten des unterhaltsberechtigten Elternteils in der Vergangenheit resultieren. Das Gesetz spricht hierzu in § 1611 BGB von einer Beschränkung oder Wegfall der Unterhaltsverpflichtung wenn

  • der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist (§ 1611 Abs. 1 1. Alt BGB),
  • er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt hat (§ 1611 Abs. 1 2. Alt BGB) oder
  • er sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat (§ 1611 Abs. 1 3. Alt BGB).

11.2.1 Bedürftigkeit durch sittliches Verschulden

Sittlich verschuldet haben Eltern ihre Bedürftigkeit insbesondere in Fällen von Alkohol[1]-, Drogen[2]-, Medikamenten- oder Spielsucht. Dies allerdings nur, wenn der bedürftige Elternteil trotz seiner Erkrankung noch in der Lage gewesen ist, diese zu bekämpfen und die Unterhaltsbedürftigkeit gerade auf diesem Verschulden beruht. Als weitere Fälle einer Verwirkung durch sittliches Verschulden kommen insbesondere in Betracht:

  • ein verschuldetes Verhalten des unterhaltsberechtigten Elternteils, das in früheren Zeiten den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge hatte oder
  • die Verschwendung von Vermögen.
[2] KG, FamRZ 2002, 1357..

11.2.2 Vernachlässigung der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind

Eine Verwirkung kann auch gegeben sein, wenn der unterhaltsberechtigte Elternteil in früheren Zeiten seine eigene Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind vernachlässigt hat. Ob dies im Sinne einer Verwirkung bejaht werden kann, richtet sich nach Gewicht und Dauer des Verstoßes. Gelegentliches Nichtzahlen des Kindesunterhaltes reicht für die Annahme einer Verwirkung nicht aus. Über die bloße Nichterfüllung der Unterhaltspflicht hinaus müssen ferner Umstände vorliegen, die dem pflichtwidrigen Verhalten ein besonderes Gewicht verleihen, z. B. dass das früher unterhaltsberechtigte Kind dadurch in ernsthafte Schwierigkeiten bei der Beschaffung seines Lebensbedarfs geraten ist.

Eine gröbliche Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht in diesem Sinne kann sich auch auf die Gewährung von Naturalunterhalt beziehen, da Eltern ihren Kindern entweder Bar- oder Naturalunterhalt (§ 1612 Abs. 2 BGB) schulden, zu welchem auch die Betreuung gehört (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). Eine Vernachlässigung der Betreuung ist daher grundsätzlich geeignet, die Rechtswirkung des § 1611 Abs. 1 BGB auszulösen.[1] Danach kommt eine Verwirkung auch dann in Betracht, wenn eine Mutter die Aufgabe der Versorgung und Betreuung ihres Kindes in vollem Umfang etwa ihren Großeltern überlässt. Jedoch ist auch in einem solchen Fall erforderlich, dass eine darin etwa liegende Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht als gröblich anzusehen ist.

11.2.3 Schwere Verfehlung gegen das Kind oder nahe Angehörige

Eine vorsätzliche schwere Verfehlung setzt eine tiefgreifende Beeinträchtigung schutzwürdiger entweder wirtschaftlicher oder persönlicher Belange des Kindes durch die Eltern voraus. Das Fehlverhalten kann auch in einer Unterlassung bestehen. In die Beurteilung sind alle Umstände einschließlich des Verhaltens des unterhaltspflichtigen Kindes einzubeziehen. Eine schwere Verfehlung im Sinne dieser Vorschrift ist nicht auf einzelne, schwerwiegende Übergriffe gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahe Angehörige beschränkt. Bereits in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde eingeräumt, dass erhebliche Gründe dafür sprechen, die Unterhaltspflicht in Fällen, in denen der Bedürftige durch unwürdiges Verhalten das Familienband zerrissen hat, nicht nur zu beschränken, sondern ganz wegfallen zu lassen.[1] Ein solches Verhalten kann sich zum einen in einzelnen besonders schwerwiegenden Verfehlungen zeigen; eine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann sich zum anderen aber auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten ergeben. Selbst wenn die einzelnen Verfehlungen dabei nicht besonders schwer wiegen, kommt es maßgeblich darauf an, ob sie zusammengenommen zeigen, dass sich der Unterhaltsberechtigte in besonders vorzuwerfender Weise aus der familiären Solidarität gelöst und damit letztlich bezogen auf seine familiären Verpflichtungen eine schwere Verfehlung begangen hat.[2]

Zum Fehlverhalten von Eltern, welches zu einer Verwirkung von Elternunterhalt führen kann, zählen insbesondere

  • an dem Kind oder dessen nahen Angehörigen begangene Tötungsversuche,
  • sexueller Missbrauch, erhebliche körperliche Misshandlungen,
  • Verlust des Arbeitsplatzes durch Denunziation oder Anschwärzung des Kindes bei Arbeitgeber, Finanzamt oder sonstigen Behörden,
  • wiederholte grobe Beleidigungen oder Drohungen, wenn daraus auf eine tiefgreifende Verachtung des Kindes zu schließen ist,
  • schwerwiegende Kränkungen durch die Eltern, die einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung und menschlicher Rücksichtnahme erkennen lassen.

Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt zwar nach der Ansicht des BGH regelmäßig eine Verfehlung dar, welch...

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