Leitsatz

Ausnahmsweise berechtigte einstweilige Verfügung auf Aussetzung der Vollziehung eines Eigentümerbeschlusses bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsache-Anfechtungsklageverfahren (hier: auf Unterbindung eines Vertragsabschlusses mit einem bauwilligen Nachbarn)

 

Normenkette

§§ 14, 22 WEG; §§ 935 ff. ZPO

 

Kommentar

  1. Zum Sachverhalt:

    Ein Grundstücksnachbar plante grenzbündig zum Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft eine Tiefgarage zu errichten und trat deshalb mit der Eigentümergemeinschaft in Vertragsverhandlungen zum Zweck des Abschlusses einer Nachbarschaftsvereinbarung, um entweder die Genehmigung zu einem sog. Berliner Verbau oder zur Abböschung zu erreichen. Die Gemeinschaft fasste hier einen Genehmigungsbeschluss zum Abböschungsvorschlag, wobei allerdings in Gartensondernutzungsflächen zweier Eigentümer eingegriffen werden müsste, ebenso in Bepflanzungen des WEG-Grundstücks und insbesondere nach dem Wortlaut der beschlussgenehmigten Vereinbarung die ersatzlose Entfernung einer 15 Meter hohen Birke dem Nachbarn gestattet werden sollte. Die beschlussgenehmigte Nachbarschaftsvereinbarung war beidseitig noch nicht abgeschlossen, also weder vom Nachbarn noch von der als durch den Beschluss ermächtigten Verwaltung der Gemeinschaft.

  2. Aus den Gründen des Urteils:

    Der sich in seinen Eigentumsrechten benachteiligt fühlende Miteigentümer (im Anfechtungsverfahren vor gleichem Gericht mit Aktenzeichen 485 C 327/09) hat als Verfügungskläger in diesem einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Verfügungsbeklagten (die restlichen Eigentümer der Gemeinschaft) einen Anspruch darauf, dass die Vollziehung dieses Beschlusses – gerichtet auf den Abschluss der Vereinbarung mit dem Nachbarn – bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung im Anfechtungsverfahren ausgesetzt wird. Bei summarischer Prüfung der Rechtslage im Verfügungsverfahren überwiegt hier deutlich das Interesse des Verfügungsklägers an einer Außervollzugsetzung. Bei dieser überschlägigen Prüfung der materiellen Rechtslage ist mit einer Ungültigerklärung des Beschlusses zu rechnen. Sollen im Zuge der Nachbarbebauung gärtnerische Umgestaltungen auf dem WEG-Grundstück erfolgen, insbesondere das Fällen einer 15 Meter hohen Birke ohne Vereinbarung späterer Wiederanpflanzung, liegen unberechtigte Eingriffe in Gemeinschaftseigentum auf der Hand. Dabei wird auch die Sondernutzungsfläche des Klägers, auf der sich die Birke befindet, erheblich beeinträchtigt, zumal im bisherigen Vereinbarungstext eine entsprechende Ersatzbepflanzung nicht vorgesehen war. Eine Vereinbarung, die einem Dritten gestattet, eine erhebliche Veränderung des Erscheinungsbilds eines gemeinschaftlichen Gartens vorzunehmen, stellt bei Beschlussgenehmigung eine bauliche Veränderung dar, sodass ein solcher Beschluss der Zustimmung aller Betroffenen bedürfe (nicht nur – wie im vorliegenden Fall – der Zustimmung nur von drei der insgesamt fünf Eigentümer).

    Auch wenn grundsätzlich kein Anspruch auf Außervollzugsetzung von Beschlüssen im Wege einer einstweiligen Verfügung allein bei Zweifeln an Übereinstimmung des Beschlusses mit Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung besteht, rechtfertigt sich dann der Erlass einer solchen Verfügung, wenn ganz offensichtlich selbst bei summarischer Prüfung die Rechtswidrigkeit eines solchen Beschlusses erkennbar wird.

    Vorliegend wurde deshalb dem Verfügungsantrag auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache stattgegeben.

Anmerkung

Grundsätzlich sind selbst angefochtene Beschlüsse – soweit sie nicht von Anfang an nichtig sind – gültig (im Anfechtungsfall also schwebend gültig), bis sie nicht durch rechtskräftiges Urteil – ex tunc – für ungültig erklärt sind. Damit müssen auch anfechtbare oder gar angefochtene Beschlüsse grundsätzlich vollzogen werden, im Regelfall durch einen Verwalter als Ausführungsorgan gemäß zwingender Gesetzesregelung in § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG. Somit ist bereits kraft Gesetzes dem Vollzugsinteresse Vorrang einzuräumen, weshalb auch das LG München I insbesondere zur Anfechtung von Jahresabrechnungsgenehmigungsbeschlüssen grundsätzlich einstweilige Verfügungen aus Gründen der Vermögenssicherung in Gemeinschaften zu Recht ablehnt.

Geht es allerdings um die Anfechtung von aufwendigen Sanierungsgenehmigungsbeschlüssen am Gemeinschaftseigentum oder weitreichende Maßnahmen baulicher Veränderungen, Modernisierungen bzw. modernisierender Instandsetzungen mit möglichen Schadensfolgerisiken, rechtfertigt sich sicher der Erlass einer einstweiligen Verfügung, um dadurch vielleicht rechtzeitig schwerwiegende finanzielle Folgen zulasten einzelner Eigentümer oder der Gemeinschaft erst gar nicht entstehen zulassen. Allerdings muss für das Gericht dann bei überschlägiger Prüfung bereits im Verfügungsverfahren erkennbar sein, dass aller Voraussicht nach die Anfechtung im Hauptsacheverfahren erhebliche Erfolgsaussicht besitzt. Wenn etwa eine Mehrheitsentscheidung über eine Sanierung nur durch Fachguta...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge