Leitsatz

1. Art. 2 der 11. Richtlinie 89/666/EWG des Rats vom 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staats unterliegen, steht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen vom 17.12.1997 entgegen, die Zweigniederlassungen einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten auferlegt, die nicht in dieser Richtlinie vorgesehen sind.

2. Die Art. 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen entgegen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.

 

Normenkette

Art. 43 EG , Art. 46 EG

 

Sachverhalt

Die Inspire Art wurde am 28.7.2000 als private company limited by shares (GmbH) englischen Rechts mit Sitz in Folkestone (Vereinigtes Königreich) gegründet. Ihr einziger Geschäftsführer (director), wohnhaft in Den Haag (Niederlande), ist befugt, allein und selbstständig im Namen der Gesellschaft zu handeln. Die Gesellschaft, die unter der Firma Inspire Art Ltd. im Verkauf von Kunstgegenständen tätig ist, nahm ihre Geschäfte am 17.8.2000 auf und hat eine Zweigniederlassung in Amsterdam.

Die Inspire Art ist im Handelsregister der Handelskammer Amsterdam ohne den Zusatz eingetragen, dass es sich um eine formal ausländische Gesellschaft i.S.v. Art. 1 WFBV handelt.

Die Handelskammer hielt diesen Zusatz für erforderlich, da die Inspire Art ihre Geschäftstätigkeit nur in den Niederlanden ausübe, und beantragte deshalb beim Kantongerecht Amsterdam anzuordnen, dass die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister durch den Vermerk formal ausländische Gesellschaft gem. Art. 1 WFBV vervollständigt wird, was weitere gesetzliche Verpflichtungen nach sich ziehen würde, namentlich bestimmte Verhaltenserschwernisse im Rechtsverkehr, eine persönliche Haftung der Geschäftsführer, eine Mindestkapitalausstattung nach niederländischen Anforderungen, ferner verstärkte Buchführungs-, Dokumentations- und Nachweiserfordernisse.

Das Kantongerecht Amsterdam stellte in seinem Beschluss vom 5.2.2001 fest, dass die Inspire Art eine formal ausländische Gesellschaft im Sinn von Art. 1 WFBV sei. Allerdings bedürfe es der Entscheidung des EuGH, ob der WFBV mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

 

Entscheidung

Der EuGH hat sich i.S.d. beiden Leitsätze geäußert. Näheres dazu entnehmen Sie der Lektüre der Praxis-Hinweise.

 

Hinweis

1. Die gesetzlichen Grundlagen und der Ausgangspunkt des hier vorzustellenden EuGH-Urteils wurzeln im niederländischen Gesellschaftsrecht. Nach dessen "Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen" vom 17.12.1997 müssen sich formale ausländische Gesellschaften bestimmten Erschwernissen unterwerfen, wenn sie in den Niederlanden tätig sein wollen. Zum Schutz der Gläubiger müssen bestimmte Mindestkapitalanforderungen erfüllt sein. Die Geschäftsführer werden zur Haftung herangezogen. Außerdem sind zahlreiche Erschwernisse im Rechtsverkehr zu beachten.

Solche Hemmnisse machen, wie auf der Hand liegt, jene Vorteile zunichte, die sich aufgrund der deutlich erleichterten Gründungsvoraussetzungen, namentlich für in Großbritannien und in Irland errichtete Ltd., ergeben. Werden aber gesellschaftsrechtliche Regelungen des einen Mitgliedstaats in einem anderen unterlaufen und in gewisser Weise konterkariert, dann stellt sich innerhalb der EG naturgemäß die Gemeinschaftsrechtsfrage.

2. Der EuGH hat diese Frage im Besprechungsfall eindeutig beantwortet: Die Schlechterstellung der in einem Mitgliedstaat nach dessen Gesellschaftsrecht errichteten Briefkastenfirma in einem anderen Mitgliedstaat mit strengeren gesellschaftsrechtlichen Anforderungen kann aus Gründen des Diskriminierungsschutzes nicht hingenommen werden. Gerade die Freizügigkeit innerhalb der EG gelte es zu schützen. Zwar sei es den Mitgliedstaaten unbenommen, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige ihrer Staatsangehörigen unter Ausnutzung der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten in missbräuchlicher Weise der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche und betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht sei nicht gestattet.

Jedoch: Es sei gerade Ziel der Niederlassun...

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