Rz. 3

Der Liegenschaftszinssatz wird nicht individuell ermittelt. Liegen von dem Gutachterausschuss ermittelte und dem Finanzamt mitgeteilte örtliche Liegenschaftszinsen vor, sind diese zu nehmen (vgl. § 193 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 und S. 3 BauGB). Soweit von den Gutachterausschüssen keine geeigneten Liegenschaftszinssätze zur Verfügung stehen, gelten subsidiär die in § 188 Abs. 2 BewG gesetzlich vorgegebenen Liegenschaftszinsen.

 

Rz. 4

Die am 23.7.2021 in Kraft getretene modifizierte Gesetzesfassung[2] verfolgt das Ziel, dass die von den Gutachterausschüssen ermittelten sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten, so eben auch die Liegenschaftszinssätze, im Rahmen der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer weiterhin sach- und praxisgerecht angewendet werden können. Die angepasste Version des Gesetzes fixiert die bisherige Verwaltungsauffassung mit der Konsequenz, dass – wie bei den Bodenrichtwerten – die zuletzt ermittelten Daten für die Bewertung maßgeblich sind (vgl. R B 188 Abs. 3 S. 2 ErbStR 2019). Ein nach der Rechtsprechung des BFH ergangenes Urteil vom 18.9.2019[3] ist somit für obsolet erklärt worden. Vielmehr wird die Verwaltungsmeinung, die in einem "Nichtanwendungserlass" manifestiert worden ist (siehe § 188 BewG Rdn 6), bekräftigt.

 

Rz. 5

Der BFH hatte mit Urteil vom 18.9 2019[4] entschieden, dass die vom Gutachterausschuss ermittelten und für die Bewertung des Grundbesitzes erforderlichen Daten, so auch die Liegenschaftszinssätze, nur Anwendung finden, wenn der Auswertungszeitraum der Gutachterausschüsse den Bewertungsstichtag mitumfasst. Dies hätte zur Folge, dass für die jeweilige Bewertung auf die Auswertung und Veröffentlichung des Gutachterausschusses für den Auswertungszeitraum gewartet werden muss, der den Bewertungsstichtag mitumfasst. Der vom Gutachterausschuss zugrunde gelegte Auswertungszeitraum ist jedoch vom Gutachterausschuss frei wählbar und hängt auch von den vorhandenen Daten des Gutachterausschusses ab. Dies führt nach Meinung des Gesetzgebers und der Verwaltung zu erheblicher Rechtsunsicherheit und gefährdet eine zeitnahe Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer.

 

Rz. 6

Verwaltungsmeinung/Nichtanwendungserlass: In gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23.9.2020[5] sind die Urteilsgründe nach Auffassung der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus für nicht anwendbar erklärt worden ("Nichtanwendungserlass"). Begründend wird hier angeführt, dass sich aus Sicht der Verwaltung in der Praxis folgendes Problem bezüglich der Aktualität der Daten ergibt: Denn die Daten der Gutachterausschüsse werden zunächst über mehrere Jahre erhoben und gesammelt, dann erst periodisch ausgewertet und schließlich veröffentlicht. Es kann sich bei einer derartigen Vorgehensweise bis zum letzten Schritt der Ermittlung und Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen, bei denen der maßgebende Bewertungsstichtag (§§ 11, 9 ErbStG) innerhalb des Zeitraums der ausgewerteten Kauffälle des Gutachterausschusses liegt, u.U. um eine zeitliche Verzögerung von mehreren Jahren handeln. Des Weiteren können sich unterschiedliche Liegenschaftszinssätze ergeben, wenn sich die Auswertungszeiträume der Gutachterausschüsse zeitlich überlappen. Darüber hinaus ist es mit dem Grundsatz der retrograden Wertermittlung unvereinbar, Erkenntnisse aus Daten nach dem Bewertungsstichtag in die Bewertung einzubeziehen.

Nach der Verwaltungsauffassung sind deshalb jeweils die Liegenschaftszinssätze anzusetzen, die vom Gutachterausschuss zuletzt vor dem Bewertungsstichtag veröffentlicht wurden.

[2] Fassung aufgrund des Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetzes v. 16.7.2021 (BGBl I 2021, 2931).
[5] BStBl I 2020, 120; z.B. Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, 23.9.2020 – S 3304–1/2014–1/2016–13–5, FMNR5b2200020.

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