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Wird ein Vermächtnis aufschiebend bedingt oder befristet ausgesetzt, hat der potentielle Vermächtnisnehmer bis zum Eintritt der Bedingung/Befristung nur ein Anwartschaftsrecht (§ 2177 BGB). Aus diesem Grunde entsteht die Steuer hierfür nicht schon mit dem Tode des Erblassers, sondern erst mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung, der Betagung[105] oder Befristung. Hat der Berechtigte das Vermächtnis vor Eintritt der Bedingung bzw. des Ereignisses angenommen, ohne eine Abfindung zu vereinbaren, entsteht Erbschaftsteuer für das Vermächtnis mit Eintritt der Bedingung bzw. des Ereignisses, m.E. rückwirkend mit dem Tod des Erblassers. Schlägt der Berechtigte das Vermächtnis bereits vor Eintritt der Bedingung bzw. des Ereignisses aus, ohne eine Abfindung zu vereinbaren, entsteht keine Erbschaftsteuer, spiegelbildlich auch keine Nachlassverbindlichkeit.

Bei Vereinbarung einer Abfindung sind zu unterscheiden:

a)

Verzicht nach Annahme vor Eintritt der Bedingung

Wird auf ein bedingtes, betagtes oder befristetes Vermächtnis, das der Vermächtnisnehmer angenommen hat,[106] vor Eintritt der Bedingung etc. gegen Abfindung verzichtet, entsteht die Steuer für die Abfindung im Zeitpunkt der Vereinbarung/des Verzichts (korrespondierend mit § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG). Wird der Verzicht allerdings nur unter der aufschiebenden Bedingung der Erfüllung der Abfindung ausgesprochen, entsteht die Steuer erst im Zeitpunkt des Bedingungseintritts. Die Annahme erfolgt durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Erben/Beschwerten (§ 2180 Abs. 2 BGB).[107] Gegenstand der Besteuerung ist die vereinbarte Abfindung.[108] Spiegelbildlich entsteht beim Erben eine Nachlassverbindlichkeit. Mit der Annahme des Vermächtnisses entsteht zunächst eine Anzeigepflicht nach § 30 ErbStG. Später ist die Abfindungsvereinbarung anzuzeigen.

b)

Verzicht nach Annahme nach Eintritt der Bedingung

Verzichtet der Vermächtnisnehmer nach der Annahme erst bei oder nach Eintritt der Bedingung oder des Ereignisses gegen eine Abfindung, bleibt die Steuerpflicht des primären (Vermächtnis-)Erwerbs bestehen, m.E. rückwirkend mit dem Tod des Erblassers. Die Abfindung unterliegt dann nicht der Erbschaftsteuer.[109]

c)

Beschränkte Steuerpflicht und Steuerbarkeit der Abfindung

Der beschränkten Steuerpflicht unterliegen auch Vermächtnisse.[110] Durch Vereinbarung einer Abfindung entfällt der Erwerb durch Vermächtnis. Die Abfindung gehört nicht zum Inlandsvermögen und unterliegt somit m.E. nicht der beschränkten Steuerpflicht.

Die Steuerklasse für die Besteuerung der Abfindung richtet sich beim Verzicht m.E. nach dem Verwandtschaftsverhältnis des Abfindungsberechtigten zum Erblasser.[111]

[105] Näheres dazu siehe § 3 ErbStG Rdn 96 und zur Abgrenzung zur Vor- und Nacherbschaft BFH v. 31.8.2021 – II R 2/20, BFH/NV 2022, 287, Vorinstanz FG Hessen v. 6.11.2019 – 10 K 1104/18, EFG 2020.
[106] Durch das JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl I 2020, 3096 wurden die Wörter "für das die Ausschlagungsfrist abgelaufen ist" durch "das der Vermächtnisnehmer angenommen hat" ersetzt. Damit soll klargestellt werden, dass die Abfindung für ein Vermächtnis gewährt wird, das wegen der Annahme nicht mehr ausgeschlagen werden kann (Anpassung an das Zivilrecht, nach dem es für ein Vermächtnis keine Ausschlagungsfrist gibt). Die Neuregelung ist erstmals auf Abfindungen anzuwenden, die nach dem 28.12.2020 vereinbart werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g ErbStG i.V.m. § 37 Abs. 18 ErbStG n.F.).
[107] Es genügt grds. eine – nachweisbare – formlose Erklärung, auch die Forderung/Bitte, das Vermächtnis auszuzahlen bzw. herauszugeben.
[108] M.E. ist der tatsächliche Erwerb, etwa eine Zahlung, nicht erforderlich; ebenso Loose, in: v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 3 Rn 145.
[110] Zur beschränkten Steuerpflicht vgl. FG München v. 10.7.2019 – 4 K 174/16, EFG 2019, 1545.
[111] So auch Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rn 342.

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