Rz. 25

Anders als gewöhnliche Schadens-, Haftpflicht-, Kranken- und andere Risikoversicherungen, bei denen der Versicherungsnehmer bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nur eine Art Anwartschaft besitzt, stellen kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen auch schon vor Eintritt des Versicherungsfalls einen realisierbaren Vermögenswert dar.[95] Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, derartige Versicherungsverträge unmittelbar beim Übergang des entsprechenden Vertragsverhältnisses – gleichgültig ob von Todes wegen oder durch lebzeitige Übertragung – steuerlich zu erfassen. Dies gilt umso mehr, wenn der wirtschaftliche Wert des Versicherungsvertrages in Form eines auszahlbaren Rückkaufswerts jederzeit realisiert werden kann.

§ 12 Abs. 4 BewG gilt nur für noch nicht fällige Versicherungsansprüche im Privatvermögen. Eine Durchbrechung der allgemeinen Bewertungsgrundsätze für Betriebsvermögen[96] sieht § 12 Abs. 4 BewG nicht vor.

 

Rz. 26

Wie die entsprechenden Versicherungen im Einzelnen ausgestaltet sind und wie sie jeweils bezeichnet werden, spielt keine entscheidende Rolle. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass die noch nicht fällige Versicherung bereits einen Vermögenswert repräsentiert. Vor diesem Hintergrund fallen unter § 12 Abs. 4 BewG insb. Erlebens-, Todesfall-, Ausbildungs-, Aussteuer-, Familien- und Hinterbliebenen- bzw. Lebensversicherungen oder Kombinationen aus derartigen Versicherungen. Dasselbe gilt auch für Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr.[97]

 

Rz. 27

Eine Bewertung nach § 12 Abs. 4 BewG ist allerdings nur dann erforderlich, wenn überhaupt schon vor Fälligkeit der Versicherungsleistung ein steuerpflichtiger Vorgang anzunehmen ist.[98]

Wann das der Fall sein kann, ist gerade bei der lebzeitigen Übertragung noch nicht fälliger Lebensversicherungsansprüche in jüngerer Zeit zweifelhaft geworden, da der BFH hier einen aufschiebend bedingten Erwerb annehmen könnte, der (wie in § 4 BewG vorgesehen) im Zeitpunkt der Übertragung noch nicht besteuert wird. Erst bei Erstarken des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht, also bei Fälligkeit der Versicherung, würde dann der volle Auszahlungsbetrag der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer unterworfen.[99] Die Literatur hat dieser Rechtsprechung, die – jedenfalls für den Fall der lebzeitigen Übertragung – verkennt, dass § 4 BewG seinem Wortlaut nach gar nicht anwendbar ist,[100] bislang nicht viel entgegengesetzt. Immerhin wird dem BFH entgegengehalten, dass bei lebzeitigen Übertragungen, nach denen der Erwerber zur Leistung der weiteren Versicherungsbeiträge verpflichtet ist, eine endgültig ausgeführte und die Besteuerung auslösende Schenkung unter Lebenden vorliege, so dass eine Bewertung des Erwerbsgegenstandes (noch nicht fälliger Versicherungsanspruch) nach § 12 Abs. 4 BewG vorzunehmen sei.[101]

Bei Term-Fix-Policen ist grundsätzlich nicht von einer aufgeschobenen Fälligkeit i.S.v. § 12 Abs. 4 BewG auszugehen, sondern lediglich von einer Betagung.[102]

[95] Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 12 Rn 68.
[96] Vgl. z.B. Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 12 Rn 70.
[97] Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 12 Rn 68.
[98] Im Fall der Auszahlung bei Eintritt des Versicherungsfalls ist § 12 Abs. 4 BewG nicht anwendbar, vgl. FG Münster v. 13.9.2018 – 3 K 2766/16 Erb, EFG 2018, 1987 m. Anm. Beidenhauser.
[99] In diesem Sinne BFH v. 27.8.2003 – II R 58/01, DStR 2003, 2066 zu einem betagten Auszahlungsanspruch; vgl. hierzu auch Fromm, DStR 2005, 1465; Fiedler, DStR 2005, 1966.
[100] Die Übertragung des Versicherungsvertrages vollzieht sich normalerweise unbedingt; lediglich der Übertragungsgegenstand ist ein aufschiebend bedingter Anspruch. Soweit man richtigerweise als Zeitpunkt der Steuerentstehung den Tag der Abtretung sämtlicher Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis ansieht (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), ist von einer endgültig ausgeführten Schenkung unter Lebenden auszugehen, deren Bewertung sich konsequenterweise nach § 12 Abs. 4 BewG richten muss.
[101] Vgl. Fromm, DStR 2005, 1465, 1469; ebenso bereits Rödder, DStR 1993, 781. Die Zahlung laufender Prämien durch den Zuwendenden stellt indes jeweils eine eigenständig zu beurteilende Geldschenkung dar (es sei denn, es liegt ein einheitliches Schenkungsversprechen vor), vgl. BFH v. 22.10.2014 – II R 26/13, BStBl II 2015, 239; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rn 134.

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