Rz. 44

Bei der Anfechtung ist zwischen der Zeit vor und nach dem Erbfall zu unterscheiden.

1. Vor dem Erbfall

 

Rz. 45

Für die Anfechtung gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB. Anders als bei einer letztwilligen Verfügung ist ein Motivirrtum unbeachtlich, denn § 2078 BGB gilt nicht. Die Anfechtung kann das abstrakte erbrechtliche Verfügungsgeschäft und/oder ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft unwirksam werden lassen.

 

Rz. 46

Das Anfechtungsrecht des Verzichtenden zu Lebzeiten des Erblassers ist unbestritten. Uneinigkeit besteht über das Anfechtungsrecht des potentiellen Erblassers. Nach der einen Meinung besteht für eine Anfechtung des Erblassers kein Bedürfnis.[54] Er könne durch eine letztwillige Verfügung den Ausschluss des Erben jederzeit rückgängig machen.

 

Rz. 47

Die andere – auch hier vertretene – Meinung bejaht ein Anfechtungsrecht des Erblassers.[55] Ob ein "Bedürfnis" für ein Recht besteht, ist nicht ausschlaggebend für dessen Existenz. Für einen testierunfähigen, zukünftigen Erblasser ist es zudem nicht möglich, eine neue letztwillige Verfügung zu verfassen. Zudem werden durch einen Erbverzicht auch die Erb- und Pflichtteilsquoten von anderen Personen beeinflusst. Die Anfechtung kann eine Wirkung entfalten, die der Erblasser sonst nicht herbeiführen kann.

[54] Palandt/Weidlich, § 2346 Rn 18.
[55] Pentz, MDR 1999, 785, 785; Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 107 m.w.N.

2. Nach dem Erbfall

 

Rz. 48

Ob der Verzichtende noch nach dem Erbfall anfechten darf, ist höchst umstritten.[56] Die überwiegende Meinung einschließlich der hier bekannten Rechtsprechung verneint das Anfechtungsrecht.[57] Das Hauptargument ist die Rechtssicherheit. Durch den Erbverzicht werden die Erbfolge und/oder -quoten geändert. Allerdings kommen in diesen Fällen Schadensersatzansprüche in Betracht, etwa nach § 826 BGB.[58]

Die Gegenmeinung bejaht das Fortbestehen des Anfechtungsrechts. Es sei auch ein Gebot der Rechtssicherheit, eine begründete Anfechtung – etwa wegen arglistiger Täuschung oder Drohung – nicht zu verhindern. Außerdem könne auch eine Bedingung erst nach dem Tod des Erblassers eintreten. Dem ist zuzustimmen. Eine unbegrenzte Rechtsunsicherheit ist grundsätzlich nicht zu befürchten, da eine Anfechtung fristgebunden ist.

[56] Vgl. auch Bonefeld/Wachter/Kurze, Der Fachanwalt, § 19 Rn 64 m.w.N.; Pentz, MDR 1999, 785, 785.
[57] BayObLG ZEV 2006, 209 – dazu krit. Anm. von Damrau, MittBayNot 2006, 253; OLG Celle ZEV 2004, 156; OLG Koblenz NJW-RR 1993, 708; OLG Schleswig ZEV 1998, 28, 30.
[58] OLG Koblenz NJW-RR 1993, 708 = FamRZ 1993, 1498: "schuldrechtlicher Anspruch auf Wertersatz".

3. Anfechtungsgrund

 

Rz. 49

Als Anfechtungsgrund kommt auch ein Irrtum über wertbildende Merkmale oder den Bestand des gegenwärtigen Vermögens des Erblassers in Betracht. Bei notarieller Aufklärung sollten relevante Irrtümer aber schwer darzulegen sein. Spätere Entwicklungen im Vermögen des Erblassers sind bei diesem Risikogeschäft unbeachtlich.[59]

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