Rz. 93

Besonderheiten gelten aber, wenn das Grundstück unter Vorbehalt eines Nießbrauchs oder eines Wohnrechts übertragen wurde.[352]

Nach Ansicht des BGH[353] kann eine den Fristbeginn auslösende Leistung i.S.d. Abs. 3 S. 2 nur dann vorliegen, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand weiterhin im Wesentlichen zu nutzen, sei es aufgrund des Vorbehalts dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche.

 

Rz. 94

Beim sog. Vorbehaltsnießbrauch gibt der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes aber gerade nicht auf. Eine "Leistung" i.S.d. Abs. 3 S. 2 des verschenkten Gegenstandes liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor.[354] Dasselbe gilt auch bei einem Wohnungsrecht, wenn dem Eigentümer keine eigenständige Nutzungsmöglichkeit verbleibt.[355] In der Lit. ist die Sichtweise des BGH zwar zu Recht umstritten.[356] Das Abstellen auf den rechtlichen Leistungserfolg wäre nicht nur mit einem höheren Maß an Rechtssicherheit verbunden.[357] Es würde sich vor allem auch am Wortlaut des Gesetzes orientieren. Mit einer Änderung der diesbezüglichen Rspr. kann aber wohl nicht gerechnet werden.

 

Rz. 95

Bislang noch nicht entschieden ist auch die Frage, ob diese Grundsätze auch auf Fälle des Quotennießbrauchs entsprechend anzuwenden sein sollen. Fest steht lediglich, dass der Fristbeginn bzgl. eines Objekts einheitlich entschieden werden muss.[358] Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein Quotennießbrauch bzgl. eines Anteils von weniger als 50 % hindere den Fristbeginn nicht.[359] Behalte sich der Übergeber aber mehr als 50 % vor, so könne dies dazu führen, dass die Frist nicht zu laufen beginne.[360]Cornelius[361] geht davon aus, dass ein "wesentlicher Verzicht" über einen "überwiegenden" hinausgehe.[362] Er schlägt deshalb vor, den Beginn der Zehnjahresfrist davon abhängig zu machen, dass der Erblasser/Schenker wertmäßig auf mehr als ¾ der Nutzungen verzichtet habe. Teilweise wird auch eine Berechtigung von nur 10 %–20 % als fristhemmend angesehen,[363] da es gerade beim Quotennießbrauch für die Frage des Genussverzichts nicht nur auf die konkrete Höhe, sondern auch auf das den Nießbrauch im Innenverhältnis regelnde Verwaltungsverhältnis ankomme. Können danach Entscheidungen nur einstimmig getroffen werden, so soll dadurch der Fristbeginn auf jeden Fall gehindert werden.[364] Im Ergebnis kann ein allgemeingültiger Prozentsatz wohl nicht festgelegt werden, so dass jeder Einzelfall eine gesonderte Betrachtung und individuelle Würdigung erfordert.[365]

[352] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 91.
[353] BGHZ 125, 395, 398 f.; ebenso OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1546; vgl. auch Mayer, ZEV 1994, 325; Meyding, ZEV 1994, 202.
[354] BGH NJW 1994, 1791; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1546.
[355] Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 182 ff. m.w.N.
[356] Zustimmend: Siegmann, DNotZ 1994, 787, 789; Leipold, JZ 1994, 1121, 1122; Pentz, FamRZ 1997, 724, 727 f.; Palandt/Weidlich, § 2325 Rn 22; Erman/Röthel, § 2325 Rn 16; aber ablehnend: Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 59; MüKo/Lange, § 2325 Rn 59 f.; Mayer, FamRZ 1994, 739, 745 u. ZEV 1994, 325, 326; Lange/Kuchinke, § 37 X 4a.
[357] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 59.
[358] Vgl. Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 100; vgl. auch BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 266; differenzierend Weber, ZEV 2017, 252, 254.
[359] Meyding, ZEV 1994, 204.
[360] Wegmann, MittBayNot 1994, 307; N. Mayer, ZEV 1994, 325, 327; Horn, in: MAH Erbrecht, § 29 Rn 267.
[361] Der Pflichtteilsergänzungsanspruch, S. 189 f.
[362] Vgl. Schippers, MittRhNotK 1996, 197, 211.
[363] Heinrich, MittRhNotK 1995, 157.
[364] Mayer, ZEV 1994, 325.
[365] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 102; vgl. zu möglichen Abgrenzungskriterien ausführlich: Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 175 ff.

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