Rz. 5

Ausnahmen vom Stichtagsprinzip ergeben sich

aus der Berücksichtigung von Vorempfängen nach §§ 2315 f. BGB;
aus der Pflichtteilsergänzung (§§ 2325 ff. BGB);
aus der Beachtung von Bestandsänderungen nach § 2313 BGB.
 

Rz. 6

Problematisch sind zeitlich nach dem Stichtag eintretende, aber auf diesen zurückwirkende Rechtsveränderungen.[20] Diskutiert wird dies insbesondere anhand folgender beiden Fallgruppen:[21]

 

Rz. 7

(1) Nach dem Stichtag wird eine zu Lebzeiten des Erblassers bereits erfolgte Eigentumsübertragung wirksam angefochten. Soweit die Möglichkeit der Rechtsänderung zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags bereits erkennbar war, kann ihr durch einen Bewertungsabschlag oder aber zumindest durch Anwendung des § 2313 BGB Rechnung getragen werden. Ist dies nicht möglich, so muss die Lösung unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs der jeweiligen Rückwirkungsanordnung und der Interessenlage der durch das Bewertungsergebnis unmittelbar Betroffenen gefunden werden.[22] Die Berücksichtigung des Bewertungsziels ergibt hier aber gerade, dass der Pflichtteilsberechtigte von der erfolgreichen Anfechtung genauso negativ betroffen gewesen wäre, wie der Erbe als Pflichtteilsschuldner, so dass diese wertmindernd zu berücksichtigen ist.[23]

 

Rz. 8

(2) Kontrovers diskutiert wird auch der Fall, dass der Erblasser nach einem Dritten Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist und bei seinem Tod das Ausschlagungsrecht noch nicht erloschen ist. Dann geht dieses mit dem Erbfall auf seinen Erben über (§§ 1952 Abs. 1, 2180 Abs. 3 BGB). Schlägt der Erbeserbe aus, führt dies zu einer Minderung des Nachlasses. Diese muss auch der Pflichtteilsberechtigte gegen sich gelten lassen; ein striktes Abstellen auf das Stichtagsprinzip würde die Freiheit der Ausschlagungsentscheidung des Erbeserben unzulässig beschneiden, da er die Erbschaft immer annehmen müsste, um den Pflichtteil begleichen zu können.[24] Konsequenterweise sind aber natürlich alle infolge der Ausschlagung eintretenden Rechtsfolgen im Rahmen der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen: Erlangt der Erbeserbe etwa durch die Ausschlagung seinerseits einen Pflichtteilsanspruch (§§ 2306 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 2307 Abs. 1 S. 1 BGB), ist dessen Wert für die Bemessung des Nachlasses des Erbeserben als Nachlassaktivum zu berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für einen etwa bestehenden Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB).[25] Wird der Pflichtteilsberechtigte durch die Ausschlagung des Erbeserben selbst Erbe nach dem Erstverstorbenen, so kürzt der Wert dieser Erbschaft den Pflichtteilsanspruch bezüglich des dem Erbeserben zugefallenen Nachlasses.

[20] Siehe dazu Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 10 ff.
[21] Meincke, S. 234; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 10 ff.
[22] Meincke, S. 234 f.
[23] Zustimmend BeckOGK/Blum, § 2311 Rn 154; a.M. Staudinger/Haas [2006], § 2311 Rn 7.
[24] Brüstle, BWNotZ 1976, 78; Lange/Kuchinke, § 37 Fn 315; MüKo/Lange, § 2311 Rn 8; Palandt/Weidlich, § 2311 Rn 2; Soergel/Dieckmann, § 2311 Rn 8; Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 15. A.M. Meincke, S. 234; Planck/Greiff, § 2311 Anm. 2 b; a.A. de Leve, ZEV 2010, 75.
[25] Staudinger/Herzog [2015], § 2311 Rn 18.

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