Rz. 35

Für Erbfälle vor dem 1.1.2010, die sich also noch nach altem Recht richten, gilt Folgendes:

Ist der hinterlassene, belastete Erbteil geringer oder gleich der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, kommt es entscheidend auf den Umfang des zusätzlich hinterlassenen Vermächtnisses an: Wird in Summe der Wert des Pflichtteils überschritten, führt die Annahme des Vermächtnisses zur Anwendung von § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auf den – zunächst belasteten – Erbteil.[127] Die angeordneten Belastungen bleiben bestehen. Eine Ausschlagung des Erbteils führt zum Pflichtteil, auf den aber das Vermächtnis gem. Abs. 1 anzurechnen ist.[128] Die Ausschlagung des Vermächtnisses bewirkt, dass nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB alle angeordneten Belastungen wegfallen[129] und i.H.d. Differenz zwischen hinterlassenem Erbteil und Pflichtteil ein Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 BGB besteht.[130]

 

Rz. 36

Sollen beide Zuwendungen ausgeschlagen werden, kommt es entscheidend auf die zeitliche Reihenfolge an. Wird zuerst die Erbschaft ausgeschlagen, ist § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB anwendbar, da das Hinterlassene (noch) die Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils übersteigt. Der Pflichtteilsberechtigte könnte den vollen Pflichtteil geltend machen.[131] Schlägt er später auch das Vermächtnis aus, ist dessen Wert nicht auf den Pflichtteil anzurechnen. Erfolgten die Ausschlagungen in der umgekehrten Reihenfolge, kommt es durch die Vermächtnisausschlagung zur Anwendung von § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, also zu einem Wegfall der Beschwerungen mit der Folge, dass eine Ausschlagung des Erbteils auch zum Verlust des Pflichtteils führte. Hier kann höchstens der Pflichtteilsrestanspruch bestehen bleiben. Übersteigen Erbteil und Vermächtnis zusammen den Pflichtteil nicht, ist stets § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB anzuwenden, dem zufolge alle angeordneten Belastungen und Beschränkungen entfallen. Daneben kann auch ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB bestehen, auf den aber auch das Vermächtnis gem. Abs. 1 anzurechnen ist, wenn es nicht ausgeschlagen wird. Im Falle der Ausschlagung der Erbschaft besteht nur der Pflichtteilsrestanspruch (allerdings auch gekürzt um den Wert des nicht ausgeschlagenen Vermächtnisses).

 

Rz. 37

Nur der Zugewinn-Ehegatte oder der überlebende Partner zweier in Ausgleichsgemeinschaft lebender gleichgeschlechtlicher Lebenspartner konnte bereits nach altem Recht ohne Verlust den Pflichtteil ausschlagen.

[127] BGHZ 80, 263, 265; OLG Düsseldorf ZEV 1996, 72, 73.
[128] Staudinger/Haas [2006], § 2307 Rn 32.
[129] BGHZ 80, 263, 266.
[130] Staudinger/Haas [2006], § 2307 Rn 32.
[131] Soergel/Dieckmann, § 2307 Rn 17; Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, HB Pflichtteilsrecht (1. Auflage), § 2 Rn 140.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge